Eifersucht – Die Angst, die Ängste erschafft

Die Aufmerksamkeit von Eifersüchtigen ist von Natur aus auf den „Besitz“ eines anderen gerichtet. Alle ihre Wahrnehmungen, Gedanken und Handlungen wiederum sind darauf programmiert, ihn an sich zu bringen – oder zu zerstören. Zwar wird die Eifersucht heutzutage vor allem mit den Themen „Liebe“ und „Beziehung“ in Verbindung gebracht. Doch an Zwischenmenschlichem ist sie nicht interessiert. Für die Angst zählt schliesslich nur das eigene Überleben. Sie will weder verlieren noch verzichten.

 

Kapitel: Antrieb: der Hunger nach Mehr – Das Wort „Eifersucht“ – Motive der Eifersucht – Männliche Eifersucht – Weibliche Eifersucht

 

Antrieb: der Hunger nach Mehr
Wolf

Abb. 1) Konkurrenz: Der Hunger ist der fundamentalste Trieb des Menschen und primärer Auslöser seiner Todesangst, die sein Denken und Verhalten steuert.

Die Suche nach Nahrung, Obdach und einem Liebespartner ist oft ein gefährliches Unternehmen. Sie kann Narben hinterlassen, nicht nur körperliche, sondern auch psychische. Um überleben zu können, ist sie jedoch ein Muss. Die biologische Angst setzt den Menschen seit Jahrtausenden in Bewegung, damit er in eine Wechselbeziehung mit seiner Umwelt tritt; die geistige Angst wiederum beschäftigt sich seit jeher mit der Analyse des Auslösers, dessen Reizwirkung den Organismus überhaupt erst dazu veranlasst, die Antriebsenergie hochzufahren, den Körper in Erregung zu versetzen und Unruhe zu stiften.

„Erregung“ und „Unruhe“, die seit der Antike als die grössten Übel betrachtet werden und die hauptsächlichen Angstmerkmale beschreiben, sind Synonyme des Wortes „Angst“. Es selbst bedeutet aus sprachwissenschaftlicher Sicht die Enge. Seine Wortbedeutung weist jedoch immer auch zum Drang, zur Begierde und Sehnsucht sowie zum Zwang und zur Wut hin. Von ihnen beherrscht und getrieben ist auch der Eifersüchtige. Unterschiedlich sind letztlich nur die Angstauslöser, kann der Mensch schliesslich auf vieles eifersüchtig sein und als den „Besitz“ eines anderen betrachten (materielle Dinge, Fähigkeiten, Status, Beziehung, Ideen usw.).

Herkules - Herakles

Abb. 2) Das Bewusstwerden der Todesangst zeigt sich unter anderem in der Tötung oder/und Einverleibung des Angstauslösers. Das Bild zeigt Herkules im Fell eines Löwen. Es symbolisiert seine „Löwenstärke“, die er durch den Sieg über ihn auf sich übertragen konnte.

Die Angst ist auf das Überleben ausgerichtet; die Eifersucht ist der Überzeugung, ohne etwas/jemanden Bestimmtes nicht überleben zu können. Bei der „Eifersucht“ denken heute zwar die meisten an eine „Liebe“, die in Hass umschlägt und die Beziehung zerstört. Doch ihre ursprüngliche Bedeutung ist eine ganz andere, oder besser gesagt, eine tiefgründigere.

Der philosophisch-theologischen Tradition entsprechend setzte auch der deutsche Schriftsteller Ludwig Börne (1786-1837) die Eifersucht noch mit der Todesangst gleich. Die Verknüpfung von Eifersucht und Liebe, die erst zu seiner Lebenszeit einsetzte, wurde von ihm sogar negiert: „Verschmähte Liebe ist tot. Eifersucht ist mehr, sie ist die Furcht des Todes.“

Eine der ältesten Definitionen der „Angst“ hat der bedeutende antike Kirchenvater Aurelius Augustinus (354-430) überliefert. Sie wurde nicht nur von etlichen Philosophen, Theologen, Universalgelehrten, Künstlern oder Schriftstellern (wie Börne) übernommen und über die Jahrhunderte hinweg weitertradiert. Sie wurde sehr viel später auch zur allerseits anerkannten Definition der „Eifersucht“. Nach Augustinus ist die „Angst“ nämlich eine eigentliche Todesangst, die aus dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit resultiert und vom Menschen nur durch die Gefühle der Verzicht- und Verlustangst bewusst wahrgenommen wird. Die „Angst“ definiert hat er unter anderem mit den folgenden Worten:

„Es besteht kein Zweifel, daβ es keine andere Ursache für die Furcht gibt als die, daβ wir das, was wir lieben, entweder als Erlangtes verlieren oder als Erhofftes nicht erlangen können.“

 

„Man darf wohl behaupten, daß in allen dichter besiedelten Lebensräumen der Mitmensch als Angreifer und Feind – Konkurrent und Rivale – als Machtüberlegener, Gesetzgeber und Überwacher – als Despot, ideologischer Eiferer etc. die allerwichtigste »Angstquelle« bedeutet.“

Heinz Wiesbrock (1924-)

 

 

Das Wort „Eifersucht“
Pac-Man

Abb. 3) Hunger und Drang zur Einverleibung: Eines der ersten und erfolgreichsten Videospiele überhaupt ist „Pac-Man“ (veröff. 1980). Auch hier werden eifrig kleine Geister gefressen und Punkte gesammelt, um dem stets drohenden „game over“ zu entgehen.

Die „Eifersucht“ ist sowohl ein Zustand, als auch eine Reaktion. Eine eifersüchtige Person befindet sich schliesslich bereits im Zustand der Dauererregung und Unruhe. Ihre Antriebsenergie hat sie schon in Bewegung gesetzt, den Auslöser ihrer Angst hat sie längst ins Auge gefasst, und ebenso die Konkurrenz, gegen die sie sich behaupten muss. Genau diese physischen und psychischen Reaktionen haben der Eifersucht auch ihren Namen gegeben.

Das deutsche Wort Eifersucht und alle mit ihm in Verwandtschaft stehenden Begriffe sind mit der Eigenschaft „eifrig“ verbunden. Im 14. Jahrhundert – als sich in Italien erstmals ein städtisches “Bürgertum“ entwickelte und sich kapitalistisches Denken auch in anderen Teilen Europas breitmachte – findet sich zum ersten Mal das Wort „Eiferer“. Im 15. Jahrhundert wurde das Verb „eifern“ geläufig und ebenso seine Adjektiv- und Adverbform. Zur selben Zeit erhielt der Begriff auch allmählich die modernere Bedeutung von “eifersüchtig“. Der Bezug zur sinnlichen Liebe oder Hassliebe stellte man jedoch erst im Verlaufe des 16. und 17. Jahrhunderts her, und auch die Worte „eifersüchtig“ und „Eifersucht“ selbst kamen erst zu dieser Zeit auf.

Der Begriff „Eifer“ hat zweierlei Grundbedeutungen: einerseits beschreibt er eine „heftige Gemütserregung“ und andererseits das „heftige Streben“, das durch sie ausgelöst wird. Seine eigenen Sprachwurzeln liegen grösstenteils im Dunkeln. Aus etymologischer Sicht ist es vielleicht der althochdeutsche Ausdruck „eivar“ (scharf, bitter) und/oder das altenglische Wort „āfor“ (herb, scharf), das zu seiner Benennung beigetragen hat. Die mittelhochdeutschen Ausdrücke „eiferlich“ (Adj.) und „eiferliche“ (Adv.) leiten sich jedenfalls vom Wort „emzec“ ab (auch „emzic“, „enzic“, „enzle“ – heute „emsig“), das mit beständig, fortwährend oder beharrlich übersetzt wird.

T-Shirt - Armani

Abb. 4) Inbesitznahme: Der Name „Armani“ steht für Kreativität, Ruhm und Geld. Das Tragen seines Namens ist ein Versuch, diese Attribute auf sich zu übertragen.

Im 15. und 16. Jahrhundert definierte man die „Eifersucht“ (die dazumal noch weitgehend unter der Bezeichnung „Eifer“ geläufig war) als ein „leidenschaftliches Streben nach Alleinbesitz mit hasserfüllter Angst vor dem möglichen Nebenbuhler“. In seiner ursprünglichen Bedeutung ist das Reizobjekt der Eifersucht also das „Eigentum“ und Grund für das fortwährende „eifrig“- und „bestrebt“-Sein. In diesem Zusammenhang bedeutet das Wort „Eifer“ schliesslich auch, sich jemand anderes „zum Vorbild nehmen“ beziehungsweise einem Konkurrenten (oder einer Konkurrentin) nacheifern.

Der Reformator Martin Luther (1483-1546), den man als Vater der Deutschen Sprache bezeichnen darf, führte in seiner Bibelübersetzung den „Eifer“ ebenfalls auf. Hier findet sich das Substantiv zum ersten Mal in Verbindung gebracht mit dem lateinischen Wort „zelus“ (= Nacheifern, Eifersucht). Für Luther hatte der Ausdruck „Eifer“ aber noch eine andere, vor allem positive Bedeutung, nämlich „lieblicher Zorn“ oder „Zorn Gottes“. Schliesslich predigte er den Christen, dass sie nur durch das „eifrige Arbeiten“ ihre Angst überwinden und Gott gefällig sein könnten. Erst durch diese Verknüpfung Luthers entstand auch der modernere Sinn von einem „heftigen Bemühen“ um eine „gute Sache“ oder ein „gutes Vorbild“.

Der Bezug zur irdischen Liebe gewann jedoch dank Literatur und Kunst im Verlaufe der Zeit immer mehr an Gewicht. Schliesslich wird hier menschliches Denken und Handeln dargestellt. Die gedachte Einheit von Eifersucht und Eigentum bröckelte zusehends auf. Letzteres wurde zur Sache der „Habgier“ erklärt, ersteres behandelte man immer häufiger unter dem Schlagwort der „Liebe“, wobei die Eifersucht auch hier in erster Linie eines darstellt: einen Besitzanspruch. Heute wird die „Eifersucht“ im Allgemeinen als „leidenschaftliche Besorgnis, im Besitz eines geliebten Menschen durch andere beeinträchtigt zu werden“ definiert.

 

„Ein merkwürdiges Angstgefühl kam über mich. Ich wußte, ich stand einem Menschen Aug in Auge gegenüber, dessen Persönlichkeit so stark auf mich wirkte, daß sie, wenn ich sie nur ließ, mich verschlingen würde – mich, meine ganze Natur, meine Seele“

Oscar Wilde (1854-1900)

 

 

Motive der Eifersucht

Abb. 5) Der Rosenkrieg (1989): Der Film mit Michael Douglas und Kathleen Turner dreht sich um einen Scheidungskrieg. Der Kampf um das Haus endet mit dessen Verwüstung und dem Tod der Protagonisten.

Wie fast alle Philosophen und späteren Theologen machte auch der römische Philosoph Lukrez (um 97-55 v. Chr.) die Todesangst für das Unglück, die Unwissenheit und überhaupt alle Schlechtigkeit des Menschen verantwortlich. Sie besänftigen und die Überlebenschancen verbessern – so heisst es – kann man durch eine „eifrige“ Wechselbeziehung mit Umwelt und Mitmensch. Wird der „Eifer“ jedoch zur Sucht, kann diese Beziehung ins Wanken geraten.

Der Mensch wird vor allem durch seine Leidenschaften, Triebe und Emotionen bestimmt. Sie sind immer individueller Natur und wurden von den alten Philosophen unter dem Begriff „Affekte“ (gr. „pathos“) zusammengefasst. Die antiken Denker hielten die Angst nicht nur für die stärkste Triebkraft des Menschen, sondern auch den übelsten Affekt, da sie alle anderen beeinflusst. Sie waren überzeugt, dass die Affekte die Gemütsruhe (Ataraxie) des Menschen stören und ihn davor abhalten würden, die Glückseligkeit (Eudämonie) zu erlangen. Von antik-philosophischem Gedankengut beeinflusst war auch der im niederländischen Amsterdam geborene Baruch de Spinoza (1632-1677), der auch Benedictus genannt wurde und zu den bedeutendsten Vertretern der Philosophiegeschichte zählt. Er vereinte Neid, Hass und Liebe unter dem dazumal neuen Begriff der „Eifersucht“:

„Dieser mit Neid verbundene Haß gegen das geliebte Ding wird Eifersucht genannt, die somit nichts anderes ist als ein Schwanken des Gemüts, entsprungen aus Liebe und Haß zugleich, begleitet von der Idee eines anderen, den man beneidet. Außerdem wird dieser Haß gegen das geliebte Ding in seiner Stärke der Freude entsprechen, von welcher der Eifersüchtige durch die Gegenwart des geliebten Dinges erregt zu werden pflegte, und auch dem Affekte, von welchem er gegen denjenigen erregt war, von dem er sich vorstellt, daß das geliebte Ding sich ihm verbindet.“

Der französische Schriftsteller Franҫois La Rochefoucauld (1613-1680) bemühte sich ebenfalls um eine Definition der „Eifersucht“. In seiner Schrift „Betrachtungen oder Moralische Sentenzen und Maximen“ (1665) hat er ihr ein besonderes Mahnmal gesetzt. Für ihn ist sie „eine Leidenschaft, welche jeden Tag neue Gründe der Unruhe und neue Qualen sucht“. Sie „nährt sich von Zweifeln, und sie wird zur Wut.“ Er kam zu dem Urteil: „Die Eifersucht ist das größte aller Übel, das bei den Menschen, die es verursachen, am wenigsten Mitleid erweckt.“

Wie viele andere hebt auch Rochefoucauld die grausame Seite des „Eiferers“ hervor. Um seine Verzicht- bzw. Verlustangst zu bewältigen, sind dem Eifersüchtigen (oder der Eifersüchtigen) schliesslich für gewöhnlich auch alle Mittel und Wege recht. Rochefoucaulds Meinung nach wird die Eifersucht „zwar immer mit der Liebe geboren, aber sie stirbt nicht immer mit ihr“, daher zeichnet sie sich durch „mehr Eigenliebe als Liebe“ aus. Die Perspektive des männlichen „Eiferers“ dargestellt hat der französische Philosoph und Literat Charles-Louis de Montesquieu (1689-1755) in seinen „Persischen Briefen“ (1721):

„Finstere Trauer ergreift mich; ich verfalle einer schrecklichen Niedergeschlagenheit. Mir scheint, ich verzehre mich und komme nur zu mir selbst, wenn eine düstere Eifersucht ins Schwellen kommt und in meiner Seele Furcht, Verdacht, Haβ und Bedauern gebiert.“

 

„Dies war ein strenges Leben für die armen Kammmacher; so kühl sie von Gemüt waren, gab es doch, seit einmal ein Weib im Spiele, ganz ungewohnte Erregungen der Eifersucht, der Besorgnis, der Furcht und der Hoffnung.“

Gottfried Keller (1819-1890)

 

 

Männliche Eifersucht
Unlawful Entry (1992)

Abb. 6) Fatale Begierde (1992): Der Film handelt von einem Ehepaar, das von einem Polizisten verfolgt und mit dem Tode bedroht wird. Der Schauspieler Ray Liotta (hier in einer Szene mit Kurt Russell) spielt den verrückt gewordenen „Stalker“, wie der „Eifersüchtige“ heute ebenfalls oft genannt wird.

Eine ähnliche Meinung wie die Adligen Montesquieu und Rochefoucauld vertrat auch Henri Beyle (1783-1842), der unter dem Namen „Stendhal“ bekannt geworden ist und ebenfalls Franzose und Schriftsteller war. Er hat sich gleichfalls in den „Eiferer“ hineinversetzt und kam zu der Überzeugung: „Die Eifersucht ist das Äußerste, was das Menschenherz an ohnmächtiger Wut und Selbstverachtung aushalten kann“.

Der erfolgreiche „Eiferer“, der seine Verzichtangst für einen Moment bewältigen konnte, fängt spätestens im nächsten die Verlustangst zu plagen an. Denn für gewöhnlich will er seinen erworbenen „Besitz“ nicht mehr hergeben – und das selbst dann nicht, wenn er ihm überdrüssig geworden ist. Der grosse österreichische Bühnendichter Franz Grillparzer (1791-1872) hat es zwischenmenschlicher formuliert: „Man ist nie eifersüchtiger, als wenn man in der Liebe anfängt zu erkalten. Man traut dann der Geliebten nicht mehr, weil man dunkel fühlt, wie wenig einem selbst mehr zu trauen ist.“

Im Gegensatz zur Philosophie stellt die „Eifersucht“ in Literatur und Kunst fast durchwegs das Motiv des Liebes- oder vielmehr Schicksalsdramas dar. Das Gewünschte erlangen oder das Erlangte beschützen wird hier zum dynamischen Element, ist die Eifersucht doch vor allem auf zweierlei ausgerichtet: Zeit und Bewegung. Beim Eifersüchtigen dreht sich schliesslich immer alles um die Kontrolle des in ihm angstauslösenden Reizobjekts und seine sofortige Einverleibung oder aber Beseitigung, um die eigene, bewusst gewordene Todesangst zu beschwichtigen.

Eine der mit Abstand eindringlichsten Literaturbeschreibungen von männlicher Liebesangst und Eifersucht findet sich in der Erzählung „Zwischen Himmel und Erde“ (1856) von Otto Ludwig (1813-1865). In ihrem Mittelpunkt steht eine Schieferdeckerfamilie; die wichtigsten Protagonisten sind zwei Brüder. Der eine, Apollonius, ist stark, massvoll, pflichtgetreu und voller Selbstbeherrschung. Der andere, Fritz, ein Schwächling, neidisch und verlogen. In der Jugend betrügt Fritz seinen Bruder um dessen Geliebte und treibt ihn so in die Fremde. Nach Jahren kehrt Apollonius wieder in die Heimat zurück und findet seine einstige Geliebte als Ehefrau seines Bruders vor. Fritz wittert plötzlich Gefahr, glaubt er doch, sein Bruder wolle Rache und ihm die Frau nehmen:

„Fritz Rettenmaier war daheim ein ängstlicher Mann geworden. … In Fritz Rettenmaier kämpfte heute eine Leidenschaft die andere nieder. Es zog ihn die wüste Gewohnheit, im Trunk sich zu vergessen, an hundert Ketten aus dem Hause; die Furcht der Eifersucht hielt ihn mit tausend Krallen darin fest. Hatte der Bruder noch nicht daran gedacht, was er haben konnte, wenn er nur wollte; er selbst hatte ihn nun auf den Gedanken gebracht. … Den ganzen Tag rechnete er an seiner Angst herum und lieβ seine Frau nicht aus seinen Augen. … Er hatte nichts mehr auf der Welt, als seinen Haβ; und der kannte nur zwei Menschen, «ihn und sie».“

Der Geängstigte wird immer zum Angstauslöser – und umgekehrt. Wer in Bewegung gesetzt wird, setzt daher sehr oft auch anderes oder andere in Bewegung. In Ludwigs Roman wird Fritz Rettenmaier zwar von der Verlustangst gequält, wirkliches Grauen empfindet er jedoch bei dem Gedanken, seinem brüderlichen Rivalen zu unterliegen. In Gedanken beginnt er den Mord an seinem Bruder zu planen. Davor jedoch quält er seine Ehefrau, die ihm bis dahin als Ersatzobjekt dient:

„Die Furcht lieβ ihn nicht los, sie preβte ihn immer erstickender. Trug er sie spät in der Nacht heim, dann machte der ruhige Schlaf seiner Frau ihn wütend. Die schlief ruhig, die ihn nicht schlafen lieβ! Er setzte sich an ihr Bett und rüttelte sie auf und erzählte ihr leise ins Ohr, was er an ihrem Liebsten thun will. Es waren grausige Dinge. Wenn die Glieder ihr flogen vor Angst und Entsetzen, dann lachte er zufrieden auf, daβ er doch etwas hatte, sie aus der stummen Verachtung zu scheuchen, womit sie sich gegen ihn gewappnet, und vergaβ daran minutenlang seine Qual. Dann lachte er fast jovial; er hat ihr angst machen wollen.“

 

„Sieh, Haimon kommt, dein jüngster Sohn. / Treibt Sorge ihn herum Antigones Los / Und Angst, seine Braut zu verlieren?“

Sophokles (496-406 v. Chr.)

 

 

Weibliche Eifersucht
Fatal Attraction (1987)

Abb. 7) Eine verhängnisvolle Affäre (1987): der Film mit Glenn Close in der Rolle der eifersüchtigen, rachsüchtigen und todbringenden Geliebten hat „allen Männern in den USA einen Riesenschreck eingejagt“ – wie Tom Hanks in einem anderen Film anmerkt (Schlaflos in Seattle).

In Otto Ludwigs Roman wird die Ehefrau Opfer ihres eifersüchtigen Ehemannes. Erst als sie von ihm in Angst versetzt wird, glüht auch die Jugendliebe zu Apollonius wieder auf. Sie dient letztlich ebenfalls dem Selbstschutz und damit dem Überleben:

„Der Jammer, die Angst wollte sie in Apollonius‘ Arme jagen; es war ihr, als wär‘ alles gut, läge sie an seiner Brust; als dürfte sie ihn nicht wieder von sich lassen.“

Bis dahin aber erstarrt sie, anstatt zu flüchten oder ihren Gatten zu konfrontieren:

„Den ganzen Tag über, die halben Nächte geht dann die Frau wie im Fieber umher. An der leidenschaftlichen Angst wächst ihre Liebe zu Apollonius zur Leidenschaft. Und sie kann‘s nicht hindern, denn die Leidenschaft mehrt wiederum die Angst. Und vor dem Gedanken der Angst hat kein anderer Platz in ihrer Seele. … Sie geht nicht mehr aus der Stube, tritt nicht mehr ans Fenster vor Furcht; sie will jeden Schritt meiden, jede Bewegung, alles was nur als ein Umsehen nach Apollonius erscheinen könnte. Sie hat nicht mehr den Mut, mit jemand zu reden, weil ihr Mann es erfahren kann.“

Aus historischer Sicht sind wir über das wirkliche Innenleben von Frauen anderer Epochen kaum unterrichtet. In der Schrifttradition werden ihre Gefühle und Gedanken schliesslich von männlichen Autoren wiedergegeben. Sie entsprechen stets seinem sozialkulturellen und religiösen Frauenbild. Vor dem 18./19. Jahrhundert finden sich nur sehr wenige weibliche Autorinnen, die ihre Gefühlswelt schriftlich festgehalten haben. Zu den Ausnahmefällen zählt die berühmte griechische Lyrikerin Sappho (6.-7. Jh. v. Chr.). In ihrem Gedicht mit dem Titel „Eifersüchtige Liebe“ heisst es unter anderem:

„Und das sehnsuchtweckende Lachen, das mir / Ha im Busen ängstlich das Herz erreget; / Wenn ich dich nur sehe, so geht der Ton mir / Nicht aus der Kehle; // Denn die Zung‘ auch ist mir gelähmt, und dünnes / Feuer läuft mir unter der Haut alsbald hin; / Mit den Augen seh‘ ich nicht mehr, und summend / Brausen die Ohren. // Kalter Schweiβ rinnt von mir herab, ein Zittern / Ganz ergreift mich, blasser als falbes Gras auch / bin ich, und ein Weniges noch zum Sterben / Scheint mir zu fehlen.“

Die „Eifersucht“ zerstört und tötet lieber, als Verzicht und Verlust hinzunehmen. Schliesslich ist sie überzeugt, ansonsten selbst sterben zu müssen. Ihr tragendes Element ist daher letztlich auch nicht die „Liebe“ zu anderen, sondern die existenzielle „Eigenliebe“, die sich im „Kampf“ um Besitz und in der „Rache“ zeigt, die bei seinem Verlust folgt. Das Urbild der eifersüchtigen, rachsüchtigen und totbringenden Frau ist die griechische Sagengestalt „Medea“. Ihre Geschichte wurde wohl häufiger adaptiert als alle anderen antiken Erzählungen zusammen.

Der Sage nach war Medea die Tochter des Königs Äetes aus Kolchis. Sie verhalf dem berühmten Helden Iason zum „Goldenen Vlies“ und verliess mit ihm die Heimat. Als Iason sie eines Tages verstösst, um sich mit der Königstochter Kreuss zu vermählen, tötet Medea aus Eifersucht die Nebenbuhlerin und darüber hinaus auch ihre eigenen Söhne aus der Ehe mit Iason. Die Vorstellung von Medea hat wie kaum eine andere das negative Frauenbild geprägt. – Es nahm auch Einfluss auf die Anschauungen der „Hexe“ oder „Spionin, Femme fatale und Kriegerfrau“.

In seinem berühmten Theaterstück „König Ödipus“, in dem eine Königsmutter und ihr Sohn unwissentlich eine Ehe eingehen, fragt Sophokles (496-406 v. Chr.): „Vor was für einer Frau habt ihr denn so Angst?“ Sein dichterischer Konkurrent Euripides (480-406 v. Chr.), der den „Medea“-Stoff der Nachwelt überliefert hat, gab in seinem unter anderem folgende Antwort:

„In anderm ist das Weib voll zager Furcht, / Zum Kampfe mutlos und zu feig, ein Schwert zu schaun; / Doch ward gekränkt sie in der Ehe heil`gem Recht, / Giert keine Seel` auf Erden mehr nach Blut und Mord.“

 

„O Eifersucht, Eifersucht, du Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft!“

Miguel de Cervantes (1547-1616)

 

 

Woelfe

Abb. 8) Durch das bewusste Schüren von Ängsten wird oft ein Hunger geweckt, der nicht das biologische, sondern soziale Überleben ermöglichen soll.

Die Eifersucht hat einen schlechten Ruf. Heutzutage heisst es, die zwei Hauptmotive für einen Mord seien Geld und … natürlich die Eifersucht. Dass sich auch der weibliche „Eiferer“ durch Grausamkeit auszeichnen kann, war tatsächlich nicht nur ein Produkt der männlichen Phantasie. Alle modernen Studien zur physischen und psychischen Gewaltanwendung belegen: Frauen üben ebenso oft wie Männer Gewalt aus. – Sie werden aber auch häufiger Opfer von ihr.

Die biologische Angst aktiviert den Menschen, der nur mit einem Flucht- oder Angriffsverhalten reagieren kann. Die Angstreaktion „Eifersucht“ konfrontiert ihren Auslöser. Sie wird durch die geistige Angst genährt, ansonsten auf etwas verzichten zu müssen oder verlieren zu können, das lebensnotwendig ist – oder vielmehr so erscheint.

Immer wieder mit der Eifersucht in einem Zuge genannt wird die Selbstachtung oder Ehre, die Schaden genommen hat und durch den Eifer wiederhergestellt werden soll. Die Vorstellungen von ihnen basieren jedoch auf einem ideellen Konstrukt, das darauf ausgerichtet ist, in erster Linie das gesellschaftliche Überleben zu gewährleisten. Von ihnen abhängig gemacht wird auf Umwegen aber auch das biologisch-individuelle, entscheiden solche Gedankenkonstrukte schliesslich darüber, wer Nahrung und Obdach erhält und wie die Wahl des Liebespartners ausfällt.

Die Eifersucht setzt immer eine Spirale der Angst in Gang, die aus einem Geängstigten mindestens zwei macht – zumeist jedoch mehr. Sie kann nur durch den Verzicht unterbrochen werden. Das fortwährende Schüren von gesellschaftlichen Ängsten und Zwängen jedoch macht es schwer. Sie halten nicht nur den Eifersüchtigen in seiner bewussten Todesangst gefangen, sondern auch seine Konkurrenz oder das „Objekt seiner Begierde“. Denn sie fühlen sich durch seinen Eifer plötzlich ebenso eingeengt, bedrängt oder erdrückt – und sind letzten Endes ebenso bestrebt, diesen Umstand zu ändern.

 

Zitate (vollständige Angaben siehe Literatur): Pekrun (1963); Augustinus (Arendt, 2006); Börne (1868), Euripides (2000); Grillparzer (1976); Ludwig (1954); De Montesquieu (1947); La Rochefoucauld (1906); Sappho (1859); Sophokles (2000); De Spinoza (1972); Stendal (1982).

Literatur: Arendt, Hannah: Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation, in: Philosophische Texte und Studien, Bd. 90, Hildesheim/Zürich/New York 2006; Bluhme, Hermann (Hg.): Etymologisches Wörterbuch des deutschen Grundwortschatzes, München 2005; Börne, Ludwig: Fastenpredigt über die Eifersucht, in: Gesammelte Schriften, Bd. 1, Wien 1868; Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (A-Z), Aufl. 2, Berlin 1993; Euripides: Medea, Stuttgart 2000; Grillparzer, Franz: Aphorismen, in: Das treffende Zitat. Gedankengut aus drei Jahrtausenden und fünf Kontinenten, hg. v. Karl Peltzer, 6. Auflage, Thun 1976; Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache, hg. v. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, Bd.7, Aufl. 3, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2001; Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Aufl. 24, Berlin/New York 2002; Körperliche und psychische Gewalterfahrungen in der deutschen Erwachsenenbevölkerung. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1), in: Gesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 5/6, hg. v. Robert Koch-Institut, Berlin/Heidelberg 2013; Lexers, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, 30. Auflage, Stuttgart 1961; Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde, Frankfurt a. M. 1954; De Montesquieu, Charles-Louis: Persische Briefe, Wiesbaden 1947; Pekrun, Richard (Hg.): Das Deutsche Wort. Ein umfassendes Nachschlagewerk des deutschen und eingedeutschten Sprachschatzes, Zürich/Heidelberg/München 1963; La Rochefoucauld, Franҫois: Betrachtungen oder Moralische Sentenzen und Maximen, übersetzt von Ernst Hardt, Jena 1906; Sappho: Eifersüchtige Liebe, in: Die griechischen Lyriker oder Elegiker, Jambographen und Meliker. Ausgewählte Proben der Urschrift übersetzt und durch Einleitung und Anmerkungen von Dr. G. Thudichum, Stuttgart 1859; Sophokles: König Ödipus, Stuttgart 2000; De Spinoza, Benedictus: Die Ethik, Frankfurt a.M. 1972; Stendal: Über die Liebe, Berlin 1982; Wandruszka, Mario: Angst und Mut, Stuttgart 1981.

Bildernachweise: Titelbild) Pinterest.com; Abb. 1, 8) Pixabay.de; Abb. 2) Kunst-fuer-alle.de; Abb. 3) Toolhip.com; Abb. 4) Pinterest.com; Abb. 5) Filmreporter.de; Abb. 6) ww3.123moviesfull.me; Abb. 7) Movies.yahoo.com.

 

By |2023-11-14T07:40:03+00:00Januar 8th, 2021|AnGSt|0 Comments
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