Raunächte – Wenn der Frauenschreck umgeht

Im Winter werden nicht nur die Nächte länger, auch Dämonen, Geister, Hexen und sonstige Unholde treiben vor allem zu dieser Jahreszeit ihr Unwesen. Die grösste Bedrohung stellen sie dem alten Volksglauben nach während der „Raunächte“ dar. In den Sagen und Mythen der Volkskultur tummeln sich zwar viele dunkle Gestalten, doch die längsten Nächte des Jahres werden besonders von zwei Schreckgestalten dominiert: Holda und Perchta.

 

Kapitel: Schattenwelt – Holde und Unholde – Holda – Perchta – Wilde Zustände – Frauenschreck

 

Schattenwelt

Um sich mit seiner Angst auseinandersetzen zu können, muss der Mensch ihren Auslöser zuerst einmal identifizieren – oder aber materialisieren. Bilder, Worte, Zahlen oder Symbole dienen ihm seit jeher, um den Gegensatz zwischen nicht-materieller und materieller Welt aufzuheben und seine unsichtbare Angst sichtbar zu machen. Hat sich dann im Kopf eine Vorstellung von ihr gebildet und wurde sie mit einem Namen und Eigenschaften versehen, kann es wahrlich gruselig werden.

Raunacht - Umzug

Abb. 1)

Der Glaube an Geister und Dämonen gehört zur frühsten Form der Angstbewältigung. Dem alten Volksglauben nach handelt es sich bei ihnen um übernatürlich-göttliche Wesen, welche die Elemente beherrschen. Sie besitzen die Fähigkeit, in Pflanzen, Bäume oder Steine aber auch in Tiere und Menschen einzudringen. Die Existenz dieser Elementargeister und ihre übersinnlichen Kräfte zeigen sich jedoch nur in ihrem Wirken. Die Holda beispielsweise wurde besonders oft mit dem Element „Wasser“ in Verbindung gebracht. Wenn sie ihr Bett macht oder ihr Kissen ausschüttelt, so heisst es, dann schneit es.

Als im Norden noch wahrlich raue Winter herrschten und die Menschen mit bangem Herzen an ihren Kaminen die längsten Abende des Jahres ausharrten, erfanden sie Geschichten. Sie sollten die furchteinflössenden und für sie oft gefährlichen Naturerscheinungen erklären und ihnen auf diesem Wege ihren bedrohlichen Charakter nehmen. Erzählt wurden die Sagen und Mythen vor allem während der sogenannten „Raunächte“, die auch „Zwölfte“ oder „Glöckelnächte“ genannt werden. Ihr Beginn wie auch ihr Ende wird je nach Landesteil und Sitte an einem anderen Datum angesetzt, jedoch immer zwischen Ende Dezember und Anfang Januar. Für gewöhnlich umfassen sie zwölf Nächte (die letzten sechs vor Jahresende und die ersten sechs des neuen Jahres).

Zwar gaben die Menschen ihrer Angst einst in ihren Geister- und Dämonengeschichten ein Gesicht, doch auch dieses wusste wieder Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Raunächte sind dem Glauben nach eine Zeit der Wiederkehr der Seelen, der „Wilden Schar“ und der Dämonen- und Gespenstererscheinungen. Sie alle müssen bewirtet oder durch Lärm, Räuchern oder auch Kreuzzeichen abgewehrt werden. Der Erfolg der Angstabwehr zeigt sich letztlich am guten Wetter und einem guten Schicksal im folgenden Jahr.

 

 

Holde und Unholde
Raunacht - Umzug

Abb. 2)

In den ältesten Erzählungen werden die Mythenwesen oft als böse oder gute Geister und Dämonen beschrieben. Ihnen verlieh man spezielle Merkmale und Fähigkeiten, bestimmte ihre Wirk- und Herkunftsorte sowie die Zeiten, während denen sie ihre grösste Macht ausüben. Seit spätestens dem 8. Jahrhundert glaubten die Menschen immer öfter, dass sich die Elementargeister in der Gestalt von Tieren zeigen würden. Erst im Verlaufe des 13./14. Jahrhunderts erhielten sie – wie die Hexen und viele andere Gespenster- und Dämonenwesen – zumeist ein menschliches Antlitz.

Der Begriff Dämon beschreibt in den alten Volkssagen wie auch in der antik-philosophischen Literatur ursprünglich eine Art guten oder bösen Geist, ein luftartiges Mittelwesen oder die Geisterseele eines Verstorbenen. Die katholische Kirche erkannte am Ende jedoch nur noch einen guten Dämon an und zwar den „Heiligen Geist“ (Dämon Jahwes). Seit Aufkommen des Christentums und bis heute wird der Begriff „Dämon“ daher auch negativ gedeutet.

Die Angst hat ein Janusgesicht und so auch die Kreaturen, die ihr entspringen. Die Geister, Dämonen, Totenseelen und sonstigen Luftgestalten der Volkskultur können dem Menschen schliesslich nicht nur übel, sondern auch wohl gesinnt sein. Sie alle sind zwar wild, im Kern aber gut. Zeigen sie sich böse, dann für gewöhnlich nur, um Schlechtes zu strafen. Je nach Überlieferung neigt ihr Wesen jedoch durchaus manchmal mehr in die eine oder andere Richtung. Unter den übernatürlichen „Holden“ gibt es sodann ebenfalls „holde“ als auch „unholde“.

Die Letzteren gaben den Gattungsnamen für alle besonders bösen Wesen ab. Sehr viel später, nachdem die Geister und Dämonen immer häufiger in Menschengestalt gedacht wurden und immer öfter durch den Menschen ihre Wirkung taten, sprach man in vielen Gebirgsgegenden von den „Unholden“. Sie wurden je nach Land und Region auch als „Hexen“ bezeichnet und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

 

 

Holda

Die Holda (pl. „Holden“) ist ein mythisches Wesen, dessen Gestalt, Kult und Glaube vielerlei Erscheinungs- und Deutungsformen besitzt. Ursprünglich zählte sie zu den Elben oder Gespenstern, von denen die ältesten Überlieferungen berichten, und verkörperte ein dämonisches Urwesen unter vielen. Erst im Verlaufe der Zeit trat sie als Einzeldämon auf, der entweder selbst einer ganzen Dämonenhorde angehört oder aber eine solche anführt.

Raunacht - Umzug

Abb. 3)

Der Name der Holda leitet sich vermutlich vom althochdeutschen Begriff „hold“ (= treu ergeben, wohl/günstig gesonnen) ab. Das gleichbedeutende „huld“ war besonders im nördlichen Sprachgebiet (insb. Schweden, Dänemark, Niederlande) verbreitet. In Norwegen nannte man die Holden auch „Huldren“ oder „Huldrevolk“. Bekannt waren die Bezeichnungen aber auch in Süddeutschland und in der Schweiz.

Die Vorstellung von der Holda, die auch häufig „Holla“ genannt wird, ist uralt. Manche Volkskundler halten sie für einen prähistorischen Vegetationsgeist oder eine alte Fruchtbarkeitsgöttin. Wie später die Jungfrau Maria „segnet“ auch sie dem alten Glauben nach die Felder und lässt das Getreide und den Flachs wachsen. Die Menschen stellten sich die Holda daher oft sitzend oder spinnend vor, wie die nordischen „Nornen“. Das Bild von ihr hat sich im Verlaufe der Christianisierung jedoch gewandelt, warum sie zumeist sowohl heidnische als auch christliche Merkmale aufweist.

Die Holda wird in den alten Sagen ebenfalls als eine Art Schutzgöttin der Tiere beschrieben. Mit dem Ruf „Hulle-Hulle“ lockte man daher früher auch Tiere an. Das Lieblingstier der Holda ist die Katze. Doch auch Störche oder Sonnen- und Marienkäferchen werden als ihre Begleiter genannt. Sie alle wandelten sich später auch zu den Tierattributen der „Hexe“.

 

 

Perchta

Die Perchta (pl. „Perchten“), die auch unter den Namen „Domina Perchta“ und „Frau Percht“ bekannt ist, stellt ebenfalls eine Sagengestalt mit verschiedenen kultischen Ausprägungen, Erscheinungs- und Deutungsformen dar. Ihr Wirkungsbereich reicht bis in die italienischsprachigen Regionen hinein. Hier zeigen sich Parallelen zur „Striga“ (Zauberin, Hexe), deren Wurzeln bis in das Altertum zurückreichen. In ihrem Fall wurde ebenfalls zwischen guten und bösen nachtfahrenden Strigen beziehungsweise zwischen der „striga holda“ und der „striga unholda“ unterschieden. Für gewöhnlich wird unter der Bezeichnung der Perchta auf die Gestalt der „Holda“ verwiesen, werden die beiden Schreckgestalten doch oftmals gleichgesetzt.

Raunacht - Umzug

Abb. 4)

Der Märchensammler und Gründer der germanischen Sprachwissenschaft Jacob Grimm (1785-1863) ging davon aus, dass sich ihr Name auf das althochdeutsche „Perahta“ (= „Leutchtende“, „Glänzende“) zurückführen lässt. Er zog jedoch auch eine Herleitung von dem gotischen Wort „bairhts“, dem angelsächsischen „berht“ und dem ebenfalls althochdeutschen „beraht“ in Betracht, die alle mit „weissleuchtend“ übersetzt werden. Manche Volkskundler gehen davon aus, dass ihr Name vor allem symbolischen Charakter besitzt und vielmehr das Zurückkommen des Jahreslichts (6. Januar) versinnbildlicht. Der Name der Perchta könnte sich aber auch genauso gut vom althochdeutschen „pergan“ (= verbergen) herleiten, womit sie vielmehr die dunklen Nächte personifiziert.

Umstritten ist auch das Alter der Perchtavorstellung. Einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gehen davon aus, dass die Perchta eine germanische Göttin aus heidnischer Vorzeit ist. Andere hingegen sind überzeugt, die Vorstellung von ihr habe sich erst zu Beginn der Frühen Neuzeit herausgebildet und sei weder vorchristlichen noch heidnischen Ursprungs. Sie halten die Perchta sogar für eine christliche Figur, womit auch der „Perchtatag“ vielmehr einen christlichen Termin festlegt. Unbestritten ist nur, dass das Perchta-Bild auf verschiedene Vorbilder zurückgeht und sie sich erst im Verlaufe der mittelalterlichen Christianisierung von einer ursprünglich schönen Göttin zu einem hässlichen (und bösen) Dämonenwesen gewandelt hat. Während des Mittelalters spielte die Perchta schliesslich auch ihre Hauptrolle als Kinderschreck. Die Vorstellung von ihr als spinnende Frau wiederum kam erst Mitte des 17. Jahrhunderts auf.

 

 

Wilde Zustände
Wilde Jagd

Abb. 5)

Die Historiker und Philologen haben sich viel Mühe gegeben, die Herkunft der Holda- und Perchtavorstellung zu ermitteln. Erschwert wird die Suche bis heute durch die Fülle an ähnlichen Schreckgestalten in den Sagen, Mythen und Mähren früherer Epochen. Die Geschichten über sie wurden ausserdem erst mündlich überliefert, wodurch sich die unterschiedlichsten Versionen herausgebildet haben.

Verändert hat sich im Verlaufe der Zeit auch die Sprache. Die Schreibweise ihrer Namen kann daher unterschiedlich sein. Eine Verwandtschaft mit anderen volkstümlichen Gestalten ist heute oft nur schwer oder überhaupt nicht mehr nachvollziehbar. Der Schweizer Volkskundler Eduard Hoffmann-Krayer (1864-1936) verweist in seinem Wörterbuch unter dem Begriff „Holda“ zwar ebenfalls auf die „Perhta“ (Perchta), doch er stellte ebenso eine Namensverwandtschaft zur „Berhta, oder „Berta“ beziehungsweise „Königin Bert(h)a“ her, einer weiteren Sagengestalt. Sie gibt es auch in männlicher Form (u.a. Berthold, Berchtold). Am nächsten steht der Holda jedoch die Vorstellung von der „Frau Holle“, mit der sie ebenfalls oft gleichgesetzt wird.

Die Bezeichnungen in den Sagen und ihre Schreibweise können also sehr unterschiedlich sein. Nicht nur die Raunächte (oder „Rauhnächte“) können andernorts auch „Rauchnächte“ genannt werden, auch die Holda und Perchta besitzen unterschiedliche Namensangaben (u.a. Berhta, Hulda, Holla, Huldre) oder aber werden unterschiedlich geschrieben (u.a. Perhte, Perschtl). Was die beiden mythischen Urwesen jedoch gemeinsam haben, ist, dass sie ursprünglich Mitglied einer ganzen Horde von Dämonen, Geistern oder Gespenstern waren, die als „Wilde Schar“, „Wildes Heer“ oder auch „Wilde Jagd“ bezeichnet wird.

Die Wilde Schar, die manchmal auch als Seelenheer der Toten verstanden wurde, trat während der Raunächte in Erscheinung. Im deutschsprachigen Volksglauben stellt sie ein Geister- oder Dämonenheer dar, das nachts mit Jagdrufen und Hundegebell durch die Luft braust, angeführt vom „Wilden Jäger“ – der ebenfalls männlich als auch weiblich sein konnte. In der germanischen Götterlehre stellen die Holden selbst die Schar der Toten dar. Im alten Volksglauben wiederum wird die Holda in mannigfaltiger Weise wiedergegeben. Besonders häufig wird sie hier als Anführerin der Wilden Jagd beschrieben, mit der sie während der „Zwölf Nächte“ durch die Luft fährt. Ihre Dämonenhorde setzt sich mal aus Elben, Geistern, Hexen oder auch ungetauften Kindern zusammen, die als sogenannte „Wiedergänger“ galten.

Eine männliche Variante der Holda und Holden findet sich nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern auch in der Schweiz. Hier wurde später der Teufel sowie die Person, die mit ihm einen Pakt geschlossen hatte, oft als „Unhold“ (mhd.) oder „Unholdo“ (ahd.) betitelt. Der Name konnte aber auch für einen Dämon oder eine Hexe stehen. Verbreitet waren in der Alten Eidgenossenschaft darüber hinaus die Namen „Unhulden“, „Hudlerin“ und „Strudler“. Letztere Bezeichnung beschreibt auch eine unsaubere oder hässliche Person.

 

 

Frauenschreck
Raunacht - Umzug

Abb. 6)

Sowohl die Holda als auch die Perchta nehmen je nach Gebiet unterschiedliche Züge göttlicher, halbgöttlicher und endlich menschlicher Prägung an. Die Perchta ist vorwiegend im deutschsprachigen Alpenraum als Sagengestalt bekannt. Das Hauptverbreitungsgebiet ihrer Erzählungen liegt in Österreich (u.a. Kärnten, Steiermark, Tirol) und Deutschland (insb. Ober- und Süddeutschland). Dagegen ist Mitteldeutschland das Gebiet der Holda (und Frau Holle). Beide Sagengestalten haben auch in die Schweizer Volkskultur Eingang gefunden.

Es gibt unendlich viele weibliche Dämonen- und Geistergestalten in den Volkssagen, Mythen und Mähren, doch fast ebenso viele besitzen dieselben Merkmale, Fähigkeiten und Begleiter. Die Fruchtbarkeitsgöttin „Waldfrua“ beispielsweise galt nicht nur als Seelenführerin, Kinderschreck oder Schreckgespenst, sondern kontrollierte und überwachte auch die Einhaltung von Geboten und Verhaltensregeln (z.B. Fastenzeit). Das Gefolge der „Frau Holle“ wiederum sind dem nordischen Volksglauben nach die „Unterirdischen“, die Gnome. Die Perchta ihrerseits galt als „Zwergenkönigin“ oder „Königin der Heimchen“.

Holda und Perchta tragen sowohl Licht als auch Finsternis in sich. Wie die Hexe in ihren ältesten Sagen zeigen sich auch sie mal als strafende, mal als dienstwillige Geister. Beide erweisen den Menschen Wohltaten, und beide belohnen sie die Fleissigen und Hilfsbereiten, die ohne eigennütziges Denken handeln. In ihrer Rolle als Beschützerinnen wirken beide manchmal fast feenartig. Dunkel werden sie erst in ihrer Rolle als Strafende, die Faulheit, Gier, Eigennutz oder auch Vorwitzigkeit rächen. Wer beispielsweise seine Pflichten nicht erfüllte, dem schlitzen sie dem Glauben nach zur Strafe den Bauch auf und füllen ihn mit Steinen und Häckseln.

Ihr Janusgesicht zeigen Holda und Perchta auch, wenn es um die Kinder geht. Beide werden nicht nur als Kinderbringerin dargestellt, sondern treten auch als Kinderschreck und Schreckgespenst in Erscheinung. Die Holda wird jedoch weit öfter mit numinosen Orten in Verbindung gebracht, die einst auch als die Herkunftsorte der Kinder galten. Ihre Wohnstätten sind Berge, Steine, Gewässer oder auch Waldbäume. Mit den Kindern besonders oft in Verbindung gebracht werden Teiche, Brunnen und hohle Bäume.

Raunacht - Umzug

Abb. 7)

In manchen Sagen wirken Holda und Perchta wie Spuk- und Traumgestalten, den „Nachtmarten“ oder „Hockaufs“ gleich. Später treten sie als weibliche Wesen auf, die mal gütige, mal boshafte Charakterzüge aufweisen. Das Bild der Holda wurde im Verlaufe der Zeit jedoch immer mehr durch die katholischen Priester verklärt. Sie setzten die Holda oft mit der Jesusmutter „Maria“ in Beziehung, wodurch sich diese zur allseits bekannten „holdseligen“ Gottesmutter wandelte, wie man sie sich heute unter der „Frau Holle“ vorstellt. Die Perchta dagegen machte keine solche Verwandlung durch. Sie blieb die dunkle und wilde „Unholdin“, die am Ende zumeist mit der „Hexe“ gleichgesetzt wurde.

In den nordischen Sagen stellt „Frigga“ die göttliche, Holda und Perchta die dämonischen Spinnerinnen dar. Ihre Anschauung wurde im Verlaufe der Jahrhunderte jedoch immer wieder modifiziert, das heisst, dem eigenen Zeitgeist angepasst. In den Geschichten über die „Spinnstubenfrauen“, die erst im 17. Jahrhundert aufkamen, spielt beispielsweise das Arbeits- und Spinnverbot eine besonders wichtige Rolle (u.a. Dreikönigsabend, Quatemberabend). Wie an Sonn- und Feiertagen galt auch während der „Raunächte“ ein Arbeitsverbot. Wer gegen die Regel verstoss, wurde von Holda und Perchta bestraft.

Traditionelle Gebräuche sowie spezielle Rituale, Beschwörungen oder Opferzeremonien dienen dem Menschen seit jeher zur Angstbewältigung. Die Perchta liess sich manchmal ebenfalls durch ein Opfer bestechen. Sie liebt dem Volksglauben nach vor allem Körneropfer, insbesondere Nüsse. Als Opfergaben der Holda werden wiederum Bier, Grütze, Mehlspeisen, Fisch, Käse, Brot und Klösse genannt.

Interessanterweise werden derartige Opfer bei der Holda aber kaum und bei der Perchta nur sehr selten erwähnt. Die Schreckensgestalten der Raunächte erschienen den Menschen wohl zu wild und zu unkontrollierbar, wodurch sich auch die Angst vor ihnen nicht wirklich besänftigen liess. Kein Wunder, wird es manchmal wahrlich gruselig, wenn im Kopf eine Vorstellung von der eigenen Angst entsteht, Konturen annimmt und wie bei der Holda- und Perchtavorstellung das Grauen in Grausamkeit umschlägt. Für die Theorie der nichtbewältigten Angst spricht die dunkle und unbezähmbare Gestalt der Perchta selbst. Tatsächlich scheint die Vorstellung von ihr erst später an Popularität gewonnen zu haben oder jüngeren Datums zu sein. Die Tagesbezeichnungen für das Wort „Percht“ gehören jedenfalls zu ihren ältesten Belegen. Die frühesten Erwähnungen der sogenannten „Perchtennacht“ gehen auf das 11. bis 12. Jahrhundert zurück (Glossen aus Monsee). Vor dem 13. und 14. Jahrhundert sind jedoch keine personifizierten „Perchten“ urkundlich belegt. Viele Sagen über die Perchta sollen manchen Volkskundlern und Volkskundlerinnen zufolge sogar erst im 19. und 20. Jahrhundert aufgekommen sein.

 

Literatur: Bayer, Erich (Hg.): Wörterbuch zur Geschichte. Begriffe und Fachausdrücke, Stuttgart 1974; Behringer, Wolfgang: Chonrad Stoeckhlin und die Nachtschar. Eine Geschichte aus der frühen Neuzeit, München/Zürich 1994; Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtsprache, hg. v. Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 5. Bd. (Handanlegen bis Hufenweizen), Weimar 1953-1960; Grimm, Jacob: Deutsche Mythologie, 3. Ausg. Göttingen 1854; Hoffmann-Krayer, Eduard (Hg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. VI. Berlin und Leipzig 1934/1935; Herrmann, Paul (Hg.): Grundriβ der germanischen Mythologie, 2. Auflage, Bd. 3, Strassburg 1900; Peuckert, Will-Erich: Volksglaube des Spätmittelalters, Stuttgart 1942; Prodinger, Friederike: Beiträge zur Perchtenforschung, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde (100), Salzburg 1960, S. 545-563; Rumpf, Marianne: Perchten. Populäre Glaubensgestalten zwischen Mythos und Katechese, in: Quellen und Forschungen zur europäischen Ethnologie, hg. v. Dieter Harmening, Bd. XII. Würzburg 1991; Wolfram, Richard: Percht und Perchtengestalten, in: Österreichischer Volkskunde-Atlas. Kommentar zu den Karten 112-114, Lfg. 6.T.2. Wien 1980; Zingerle, Ignaz Vinzenz: Berchta-Sagen in Tirol, in: Zeitschrift für Volkskunde, Leipzig 1/1889, S. 260-262.

Bildernachweise: Titelbild, Abb. 1-4, 6-7) Pixabay.de; Abb. 5) Ard.de.

 

By |2023-12-22T15:23:50+00:00Dezember 2nd, 2020|AnGSt|0 Comments
error: Content is protected !!