Krankheitserregende Mikroorganismen interessieren sich weder für das Geschlecht, das Alter noch den Status einer Person. Nur Menschen unterwerfen Krankheiten und Kranke seit jeher einem Werturteil und dichten Krankheitserregern eine spezielle „Vorliebe“ an. So auch im Fall der „Spanischen Grippe“, die zwischen 1918 und 1920 Angst und Schrecken verbreitete. In den Medien wird immer wieder betont, dass ihr Erreger vor allem Männern zwischen 20 und 40 Jahren zugesetzt hat. Die Erklärung für diesen Umstand ist jedoch relativ simpel: ihre Immunsysteme waren aufgrund der anhaltenden Angst ganz besonders geschwächt. Schliesslich hatten sie gerade erst im Ersten Weltkrieg (1914-1918) um ihr Überleben gekämpft.
Kapitel: Immunsystem und Angst – Angsthormone – Wirkung
Immunsystem und Angst

Abb. 1) Viren
Die Welt ist ein gefährlicher Ort, der Mensch ein fragiles Wesen. Der menschliche Körper ist von Geburt an einer ständigen Bedrohung durch Viren, Bakterien und Pilzen ausgesetzt. Manche von ihnen sind krankheitserregend und können Körperzellen befallen und sie zerstören. Falls dies geschieht, reagiert das Immunsystem in erste Linie mit einer Erhöhung der Körpertemperatur (Fieber) aber auch verschiedenen Krankheitssymptomen (u.a. Husten), um die Erreger unschädlich zu machen und aus dem Organismus zu entfernen.
Der Begriff „Immunsystem“ definiert die Gesamtheit der Abwehrreaktionen, die dem Organismus gegen Krankheitserreger oder andere Fremdkörper zur Verfügung stehen. Die immunologischen Abwehrreaktionen selbst nennt man „Immunantwort“. Unter der Bezeichnung „Immunität“ wiederum versteht man die allgemeine Widerstandsfähigkeit eines Organismus‘ gegen krankheitserregende Mikroorganismen.
Das Immunsystem entwickelt sich erst nach der Geburt. Falls ein Neugeborenes nicht zu früh auf die Welt kommt, können jedoch sogenannte Immunglobuline (von Plasmazellen synthetisierte Proteine, die meist Antikörperaktivität haben und deren Bildung durch Antigene ausgelöst wird) die Plazentagrenze überwinden und dem Kind einen gewissen Schutz bieten, noch bevor es das Licht der Welt erblickt. Denn die Antikörper (Abwehrstoffe, die in Plasmazellen und in den Lymphozyten gegen Antigene gebildet werden) werden erst kurz vor der Geburt an das Kind weitergegeben.
Die Funktion der Angst wiederum ist es, das körperliche und geistige Überleben des Menschen in seiner Gesamtheit zu gewährleisten, um eine gesunde Wechselbeziehung zwischen ihm und seiner Umwelt zu gewährleisten. Dies tut sie, indem sie Einfluss auf sein Verhalten und Denken nimmt. Das Herzstück des menschlichen Angstsystems ist die Amygdala. Bei ihr handelt es sich um einen Überlebensmechanismus, eine Art „Schaltzentrale“, die Sinnesreize auf ihren Stärkegehalt hin überprüft und die Reaktionen auf sie koordiniert. (Mehr Informationen im Beitrag „Amygdala“!)
Sobald die Amygdala einen starken Reizimpuls (aus der Umwelt oder dem Organismus) empfängt, übernimmt sie automatisch die Kontrolle über den Körper und seine Funktionen. Auf diese Weise macht sie ihn aktionsbereit. Sie sorgt unter anderem dafür, dass uns die Gefahr einer Krankheit auch bewusstwird und wir etwas gegen sie unternehmen. Fühlen wir uns unwohl und fiebrig oder quält uns ein schlimmer Husten oder Schnupfen, treibt sie uns zur Bewegung an, damit wir uns ins Bett flüchten oder einen Arzt aufsuchen.
Angsthormone

Abb. 2) Nervensystem
Um auf Reizimpulse reagieren und die Organtätigkeiten aufeinander abstimmen zu können, verfügt der menschliche Organismus über zwei Nachrichtensysteme: das Nerven- und das Hormonsystem. Wird die Amygdala aktiviert, übernimmt sie automatisch die Kontrolle über das autonome (vegetative) Nervensystem und gibt Befehle an es aus. Über den Hypothalamus wiederum steuert sie das Hormonsystem (endokrines System). Der ist nämlich für die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) und damit für die Hormonbildung verantwortlich.
Wird ein starker Reiz von der Amygdala erfasst, alarmiert sie den Hypothalamus. Ob die Situation wirklich lebensgefährlich ist oder nicht, wird hier entschieden. Falls der Reizimpuls die nötige Qualität besitzt (Alles-oder-Nichts-Prinzip), fällt der Entscheid positiv aus und ein Befehl geht an das Nebennierenmark. Dieses bildet augenblicklich die nötigen Hormone und schüttet sie ins Blut aus (Alarmreaktion). Wenn es um die Angst geht, sind die folgenden Hormontypen von besonderer Bedeutung: Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol.
Das Adrenalin bewirkt eine schnelle Energiebereitstellung durch Fettabbau (Lipolyse) und somit die Freisetzung und Biosynthese von Glucose. Seine Ausschüttung hat unter anderem eine Erhöhung des Pulses und der Atemfrequenz, einen Anstieg der Schweissproduktion oder die Pupillenerweiterung zur Folge. Das Noradrenalin, das aus biochemischer Sicht mit dem Adrenalin verwandt ist, wird ebenfalls im Nebennierenmark gebildet. Es regt unter anderem das Herz-Kreislauf-System an, erhöht die Konzentration (Aufmerksamkeit) und wirkt sich auf den Fluchtreflex aus. (Siehe dazu auch den Beitrag über die Angstreaktionen „Flucht oder Angriff“!)
Für die anhaltende Angst entscheidend ist aber vor allem das Cortisol (Steroidhormon). Es wird (im Gegensatz zum Adrenalin und Noradrenalin) in der Nebennierenrinde produziert und erst nach Einwirkung des ACTH-Hormons (adrenocorticotropes Hormon) freigesetzt. Es trägt in erster Linie zur Steuerung des Energiehaushaltes bei. Das Cortisol besitzt eine entzündungshemmende und immunsuppressive Wirkung. Bei anhaltender Angst, also bei Stress, sorgt es dafür, dass die Reaktionen des Immunsystems gehemmt werden, damit diese dem Körper keinen Schaden zufügen und sich gegen den eigenen Organismus richten können.
Adrenalin oder Epinephrin? Der Chemiker K.L. Friedrich Stolz synthetisierte 1904 – als erstes Hormon überhaupt – das Hormon „Adrenalin“, das hauptverantwortlich für die körperlichen Angstreaktionen ist. Der Begriff „Epinephrin“ wiederum ist ein Trivialname, der von dem Biochemiker John Jacob Abel (1857-1938) aus Baltimore eingeführt wurde und heute vor allem in den USA gebräuchlich ist. Der Begriff sollte ursprünglich das „künstlich hergestellte Adrenalin“ benennen – wie so manch anderen, dazumal neu erfundenen Namen auch. Heute findet der Ausdruck in der englischen Sprache oft auch als Synonym für „Adrenalin“ Verwendung. Der Übername wurde später ebenfalls auf das „Noradrenalin“ ausgeweitet (Norepinephrin).
Wirkung

Abb. 3)
Die Alarmreaktionen unseres Angstmechanismus‘ werden durch zwei sich ergänzende hormonelle Achsen gesteuert: die sympathoadrenale Achse (Adrenalin und sympathisches Nervensystem) und die Hypophysen-Nebennieren-Achse (Cortisol). Sie kommen wie Don Quijote und Sancho Panza daher: der eine impulsiv und voller Tatendrang, der andere gemächlich, das Drama zu verhindern versuchend.
Die Reaktionen der sympathoadrenalen Achse erfolgen nämlich innerhalb von Sekunden nachdem die Amygdala aktiviert wurde. Die Adrenalinausschüttung führt dem Organismus zwar eine ungeheure Portion an Kraft zu, doch der Energieschub hält nur ungefähr drei Minuten an. Die Abwehrreaktion durch die Hypophysen-Nebennieren-Achse hingegen arbeitet sehr viel langsamer, dafür etwas länger. Das Cortisol zeigt erst nach Minuten oder sogar Stunden seine Wirkung. Adrenalin und Noradrenalin können ausserdem die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden und somit nur indirekt auf das Gehirn einwirken. Das Cortisol jedoch kann im Gegensatz zu ihnen die Schranke überwinden und sich somit auch direkt auf das Gehirn auswirken.
Die Bildung von Cortisol (die auch als Stressantwort bezeichnet wird) soll dem Organismus helfen, eine länger anhaltende oder sehr intensive Belastung zu verarbeiten. Doch dies zu einem sehr hohen Preis. Schliesslich wird gleichzeitig das Immunsystem erheblich geschwächt oder kann sich sogar “abschalten“. Hält die Cortisolproduktion zu lange an, wirkt sich dies also lebensgefährlich auf unseren Körper und unsere Psyche aus. Wir werden anfällig für die unterschiedlichsten physischen und psychischen Erkrankungen. (Siehe dazu auch die Beiträge „Warum Angst tödlich sein kann“ und „Angstneurosen“!)
Stress hält den Organismus in einem anhaltenden Erregungszustand, der sich vor allem in einer nicht mehr nachlassenden Aufmerksamkeit, Reizbarkeit und Anspannung zeigt. Die Angst ist schliesslich in ihrer ursprünglichsten Form nichts anderes als Energie. Die Dauererregung, die das Nervenkostüm des Menschen überreizt, hat daher letztlich auch Auswirkungen auf die Organe. Sie werden nachweislich geschädigt und stellen systematisch ihre Funktionen ein. Bemerkbar macht sich dieser Prozess häufig zuerst einmal durch Kopf- und Rückenschmerzen. Dann folgen Erschöpfungszustände, die unterschiedlichsten physischen und psychischen Krankheiten und schliesslich der frühzeitige Tod.
Interview: Der Immunologe Prof. Dr. Stefan Hockertz über die Angst und COVID-19 – Klicken Sie hier!
Literatur: Cannon, Walter B.: Wut, Hunger, Angst und Schmerz. Eine Physiologie der Emotionen, hg. v. Thure von Uexküll, München/Berlin/Wien 1975; Hüther, Gerald: Biologie der Angst, 9. Auflage, Göttingen 2009; Kandel, Eric R. (u.a. Hg.): Neurowissenschaften. Eine Einführung, Heidelberg 2001; Ders.: Cellular Basis of Behavior. An Introduction to Behavioral Neurobiology, San Francisco 1976; LeDoux, Joseph: Angst. Wie wir Furcht und Angst begreifen und therapieren können, wenn wir das Gehirn verstehen, Salzburg 2016; Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch, 260. Auflage, Berlin 2004; Weisser, Ursula: Das erste Hormon aus der Retorte. Arbeiten am synthetischen Adrenalin (Suprarenin) bei Hoechst 1900-1908, in: Dokumente aus Hoechst-Archiven. Beiträge zur Geschichte der Chemischen Industrie, Nr. 52, hg. v. Hoechst Aktiengesellschaft, Dr. Manfred Simon, Frankfurt a.M. 1984.
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