Thukydides und die Furcht der Spartaner

Die Angst ist die wichtigste Triebkraft des Menschen und entscheidet über sein Denken und Verhalten. Davon überzeugt war auch der antike Historiker Thukydides. Sein grösstes Werk dokumentiert den „Peloponnesischen Krieg“ (431-404 v. Chr.), den grössten Krieg in der Geschichte des klassischen Griechenlands – und für manche Wissenschaftler der erste „Weltkrieg“ der Menschheitsgeschichte überhaupt. Als seine Ursache nennt Thukydides die Furcht der Spartaner vor der Athener Konkurrenz. Doch ist das die ganze Angst-Geschichte?

 

Kapitel: Thukydides und sein Lebenswerk – Die Konkurrenten: Sparta und Athen – Korinth und das abtrünnige Korfu – Nikias und das böse Omen – Themistokles und die Pest – Athens Dilemma – Spartas Furcht?

 

Thukydides und sein Lebenswerk
Thukydides

Abb. 1) Büste des Thukydides.

Thukydides zählt zu den bedeutendsten antiken Geschichtsschreibern. Seine Lebensdaten können jedoch nur geschätzt werden. Die Überlieferungen deuten darauf hin, dass er um 460/454 v. Chr. geboren wurde und 399/396 v. Chr. verstarb. Auch über sein Leben ist kaum etwas bekannt. Was wir wissen, ist, dass er ein Aristokrat Athens war und kurzzeitig die Position eines „Strategen“ (Heerführer) einnahm.

Sein Lebenswerk über den grossen Krieg der Hellenen schrieb Thukydides in der Verbannung. Als Heerführer Athens hat er nämlich versagt. Für die Nachwelt ein grosses Glück, denn sein Werk ist einerseits der einzige erhaltene und detaillierte Text über den Peloponnesischen Krieg – auch wenn er unvollständig blieb. (Seine Aufzeichnungen enden 411/410 v. Chr. im 21. Kriegsjahr.) Andererseits enthält er die einzige ausführliche Beschreibung der Pest in Athen, die kurz nach Beginn des Peloponnesischen Kriegs ausbrach und heute zu den schlimmsten Epidemien des Altertums gezählt wird.

Der eigentliche Kriegsgrund, der zum Ausbruch des Peloponnesischen Kriegs führte, sah Thukydides in der Angst der Spartaner. Sie sollen beim Gedanken an seine Landsleute und ihre Mächtigkeit zittrige Knie bekommen und sich zum Kriege gezwungen gesehen haben. Diese Meinung dominiert letztlich auch sein ganzes Werk. Trotz seiner überwiegend objektiv gehaltenen Darstellung des Krieges und seiner analytischen Brillanz war Thukydides schliesslich im Herzen ein Aristokrat und Stratege von Athen, dem Hauptgegner Spartas.

Tatsächlich aber waren am Abend vor dem Peloponnesischen Krieg nicht nur die Spartaner, sondern auch die Bewohner anderer Poleis – und nicht zuletzt die Athener selbst – von der Angst vor politischer wie auch wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit, persönlichem Prestigeverzicht und sozialer Degradierung getrieben. Thukydides selbst berichtet über andere entscheidende Ereignisse und spezielle Persönlichkeiten, die von der Angst gelenkt wurden. Ihre Befürchtungen haben letztlich nicht nur den Ausbruch des Peloponnesischen Krieges verursacht, sondern auch seinen Verlauf und Ausgang entscheidend beeinflusst.

 

Thukydides über die Angst der Spartaner:

„Den letzten und wahren Grund [warum unter den Hellenen ein so gewaltiger Krieg ausbrach], von dem man freilich am wenigsten sprach, sehe ich im Machtzuwachs der Athener, der den Lakedaimoniern [Spartanern] Furcht einflöβte und sie zum Krieg zwang“.

 

 

Die Konkurrenten: Sparta und Athen
Peloponnesischer Krieg

Abb. 2) Die Angst vor Machtverlust beherrschte lange Zeit das Verhältnis zwischen den zwei Grossmächten Athen und Sparta. Die Karte zeigt die Zustände während des Peloponnesischen Krieges und die in ihn verwickelten Kriegsparteien.

Das Land der Hellenen (antike Griechen) war kein politisch geeintes Land – ganz im Gegenteil. Es umfasste eine Vielzahl von unabhängigen Stadtstaaten, sogenannte „Poleis“ (sg. „Polis“), deren Herrscher von Ehre, Macht und Reichtum träumten und vom Expansionsdrang beseelt waren. Die meisten Poleis waren sich daher auch feindlich gesinnt und führten immer wieder Kämpfe untereinander.

Aufgrund des begrenzen Raums in der Ägäis konnte kaum eine Polis wirklich expandieren und auf Dauer ihren Machtbereich ausdehnen. Das Mächtegleichgewicht blieb jedoch dadurch über viele Jahrzehnte ausgewogen. Zwar unterhielten manche Griechen profitable Kolonien (u.a. in Süditalien), doch Distanz und fehlende Kommunikation machten es sehr schwierig, sie unter ständiger Kontrolle zu halten. Nichtsdestotrotz hatten sich in der Vergangenheit zwei mächtige Poleis herausgebildet und konkurrierten um die Vorherrschaft in Hellas (antikes Griechenland): Athen und Sparta.

Bevor sie sich im Peloponnesischen Krieg gegenüberstanden waren die Spartaner und Athener Bundesgenossen. Doch beide waren auch auf dem Höhepunkt ihrer Macht angekommen, hatten sie beide im Verlaufe der Zeit ihr Land trotz aller Widrigkeiten vergrössern, neue Kolonien gründen und durch Bündnisse ihre Vormachtstellung in der Ägäis festigen können. Und natürlich war keiner von ihnen bereit, die Macht im Hellenen-Reich zu teilen. Noch während sie gemeinsam die Invasionsversuche der Perser, ihrer traditionellen Feinde, abzuwehren versuchten, zerfiel auch schon ihr Bündnis.

Die Kontrahenten unterschieden sich sehr, nicht nur politisch und militärisch, sondern auch kulturell. Das kämpferische Sparta war eine ausgesprochene Landmacht. Seine Regierung stellte offiziell eine Mischform aus Monarchie und Volksversammlung dar, wurde aber nicht selten von eigentlich nicht regierungsberechtigten Adligen beherrscht, die nur dem Eigennutz folgten (Oligarchie, „Herrschaft der Wenigen“). Während die Athener Handel, Kunst und Wissenschaft förderten, – darunter auch die noch heute praktizierte „Rhetorik“ (Kunst der Rede), die vor allem darauf ausgerichtet ist, Angst bei den Zuhörern zu erzeugen, – übten sich die Spartaner von Kindesbeinen an im Kampf. Als militärisch stärkste Macht im Reich stellten sie die eigentlichen Herrscher Griechenlands dar.

Der Wirkungsbereich Athens dagegen war aufgrund seiner geopolitischen Lage das Meer, das gleich an ihre Polis grenzte. Die Seemacht Athen war eine egalitär-hierarchische Gemeinschaft, die an die „isonomia“ glaubte (Gleichheit aller athenischer Bürger vor dem Gesetz) und zur Zeit des Krieges eine Regierungsform besass, die früh-demokratischen Grundsätzen folgte (Isonomie). – Tatsächlich aber hatte nur ein kleiner, vermögender Männerkreis überhaupt irgendwelche politischen Rechte inne und zeichnete sich durch „Gleichheit“ aus, da man weder Arme, Frauen, Kinder und schon gar nicht Unfreie oder Ausländer zu den „Bürgern“ zählte.

Zwischen 500 und 448 v. Chr. kämpften die Griechen gemeinsam in den Perserkriegen. Im Jahr 446 v. Chr. schloss der berühmte athenische Heeresführer Perikles mit Sparta einen Frieden auf dreissig Jahre, doch lange hielt er nicht an. Bereits 431 v. Chr. nahm der Peloponnesische Krieg seinen Anfang. Im Verlaufe des Kriegs wurden fast ausnahmslos alle Poleis in den Krieg hineingezogen – und damit die ganze dazumal „bekannte Welt“. Zu zahlreich waren ihre Bündnisse untereinander, die sie zur Verteidigungshilfe verpflichteten, sollte einer von ihnen angegriffen werden.

 

Thukydides über die Feindesangst und wie man aus ihr seine Vorteile zieht:

„Am wirksamsten aber wird man den Feinden auf folgende Weise Schaden zufügen: Wenn man erfahren hat, was sie am meisten fürchten, das dann genau auszukundschaften und gegen sie anzuwenden; denn es ist doch anzunehmen, dass jeder sehr genau seine eigenen gefährlichen Blöβen kennt und fürchtet.“

 

 

Korinth und das abtrünnige Korfu

Thukydides sah in der Angst der Spartaner vor dem Machtzuwachs Athens den Hauptgrund für den Ausbruch des ersten „Weltkriegs“ der Menschheitsgeschichte. Dass die politisch-wirtschaftlichen Konkurrenten früher oder später einen Entscheidungskrieg führen würden, war im Verlaufe der Zeit schliesslich immer wahrscheinlich geworden. Es war jedoch letztlich die Angst der Korinther und der Kerkyraier, den Einwohnern Korfus, die den Peloponnesischen Krieg initiierte.

Korinth lag dazumal mit seiner tributpflichtigen Tochterstadt Korfu im Streit. Die Kerkyraier hatten nämlich eigenmächtig Athen um die Aufnahme in den „Attischen Seebund“ ersucht. Nun mussten sie einen Einfall der Korinther befürchten, die mit den Spartanern ein Abkommen hatten. Die Athener lehnten das Gesuch zwar aus politischem Kalkül ab, doch schlossen sie ein Defensivbündnis mit Korfu. Korinth sah sich daraufhin herausgefordert, rief zu den Waffen und erzwang so Spartas Teilnahme an seinem Krieg, waren doch beide durch den „Peloponnesischen Bund“ miteinander verbündet.

Abb. 3) Pegasos: das Wahrzeichen Korinths.

Der Attische Seebund war ein Bündnis zwischen Athen und anderen griechischen Poleis, um die eigenen Stadtstaaten und diejenigen Kleinasiens besser gegen die Perser verteidigen zu können. Jedes Mitglied hatte kontinuierlich seinen Beitrag an Schiffen und Mannschaften sowie eine Gebühr für deren Unterhalt zu leisten. Athen besass in diesem Bund das Sagen, obwohl alle Mitglieder als gleichberechtigt galten. Der Peloponnesische Bund wiederum ist als eine Reaktion auf den „Attischen Seebund“ zu sehen, der das Mächtegleichgewicht zu erhalten versuchte. Er umfasste die Poleis, die im Landesinneren angesiedelt waren, unter der Führung Spartas.

Nicht nur Sparta und Athen wollten ihre Polis an der Macht sehen. Korinth schaute ebenfalls auf eine glorreiche Vergangenheit zurück und träumte von alten Zeiten und altem Ruhm. Schliesslich war es vor noch nicht allzu langer Zeit die erste Seemacht Griechenlands gewesen. Zwischen 657-580 v. Chr. hatte Korinth seine grösste Blütezeit erlebt. Während dieser Zeit hatte es eine wichtige ökonomische Stellung eingenommen, da es mit dem glanzvollen Ionien Handel trieb. Das politische und kulturelle Zentrum Ioniens stellte dazumal Milet dar, die Mutterstadt von über neunzig Städten an den Küsten des Schwarzen Meeres und wichtigster Umschlaghafen für den Orienthandel.

Die ständigen Konflikte zwischen den Poleis brachten es mit sich, dass sich Korinth 460 v. Chr. auf die Seite Spartas schlug. Als sich Korfu nun abtrünnig zeigte, war dies ein willkommener Anlass, die einstige Machtstellung wieder anzupeilen. Schliesslich hatten Korinths Geschäfte und somit auch sein Reichtum und soziales Ansehen unter der Konkurrenz mit dem „Attischen Seebund“ massiv gelitten.

Korinth zeigte sich zwar kampfeslustig, doch in Wahrheit war es schwach, konnte es sich weder einen Krieg leisten noch besass es die nötige militärische Stärke, um einen zu führen. Seine Angst vor Machtverlust war aber ganz offensichtlich stärker als seine Vernunft. Sie trieb die Verantwortlichen dazu an, Sparta für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und alles auf eine Karte zu setzen. Wollte das berüchtigte Kämpfervolk sein Ansehen nicht verlieren und Zweifel an seiner Vorherrschaft aufkommen lassen, musste es Korinth in seinem Konflikt unterstützen.

 

Thukydides über die Korinther:

„Das ganze Jahr … bauten die Korinther in ihrer leidenschaftlichen Erregung über den Krieg mit den Kerkyraiern Schiffe und trafen gewaltige Zurüstungen für eine Flottenausfahrt; … Die Nachricht von dieser Zurüstung versetzte die Kerkyraier in Furcht, und … sie beschlossen …, sich an die Athener zu wenden mit dem Versuch, deren Bundesgenossen zu werden und Hilfe bei ihnen zu finden.“

 

 

Nikias und das böse Omen
Nikias

Abb. 4) Nikias-Portrait.

Thukydides nennt die Furcht der Spartaner als Hauptgrund für den Peloponnesischen Krieg. Seinen Anfang nahm er jedoch offiziell mit der Auseinandersetzung zwischen dem geängstigten Korinth und seinem ebenso verängstigten, tributpflichtigen Korfu. Die Furcht des Heerführers Nikias wiederum gibt Thukydides als Grund für die Katastrophe des athenischen Heeres im Hafen Syrakus‘ an. Ihretwegen soll der Heeresführer die falschen Entscheidungen getroffen, das Schicksal Athens für immer besiegelt und seine Niederlage im Peloponnesischen Krieg verursacht haben.

Der athenische Stratege Nikias (geb. um 469 v. Chr.) war zum Führer der „Oligarchen“ gewählt worden, als Perikles‘ Nachfolger Kleon an die Macht kam. Als die Athener 422 v. Chr. eine Niederlage bei Amphipolis erlitten und Kleon starb (421 v. Chr.), konnte Nikias einen Frieden zwischen Sparta und Athen auf fünfzig Jahre vermitteln. Mit diesem sogenannten „Nikiasfriede“ gingen die damaligen Gegner ein Verteidigungsbündnis gegen den Bund der Peloponnesier mit Argos ein. Als jedoch nach Kleons Tod Nikias‘ eigener politischer Gegner Alkibiades an die Macht kam, verschlechterten sich auch wieder die Beziehungen zwischen Athen und Sparta.

Die „Sizilianische Expedition“ (415-413 v. Chr.), das nächste grosse und entscheidende Ereignis des ersten „Weltkriegs“, wurde für die Athener zum absoluten Fiasko. Zu ihr geraten hatte der ehrgeizige Politiker Alkibiades. Erfolgreich gab er vor, mit ihrer Hilfe problemlos die Wirtschaft Athens stärken zu können. Die profitorientierten Athener waren sehr schnell davon überzeugt, dass die Expedition nach Sizilien eine gute Idee wäre, würden seine reichen Städte und grossen Getreidefelder für Athen schliesslich von grossem Nutzen sein.

Nikias riet den Athenern von Anfang an von dem Unternehmen ab. Zur Begründung führte er ihnen immer wieder ihre missliche Lage vor Augen: Athen hatte sich noch nicht von der Pest erholt, die Polis war noch immer von Feinden umlagert, die Sicherheit der Bündnisse war ungewiss und Sizilien weit weg und daher auf Dauer kaum regierbar. Doch die Athener wollten seine wohldurchdachten Argumente nicht hören. Sie entschieden sich dazu, Nikias in den Kampf zu schicken.

Obwohl Nikias‘ Heer anfänglich Erfolge erzielte, wendete sich schon bald das Blatt. Im Jahr 413 v. Chr. belagerte es Syrakus gemeinsam mit den Truppen der Feldherren Demosthenes und Eurymedon. Diese wollten die vom Kampf und Krankheiten geschwächten Soldaten nach Thapsos oder Katane verlegen und die Belagerung abbrechen. Nikias aber sprach sich dagegen aus, da sie über keinen offiziellen Beschluss der Athener verfügten, der ein solches Vorgehen legitimiert hätte. Als sich die Lage jedoch weiter verschlechterte, entschied sich Nikias um und gab Befehl, alle Vorbereitungen für einen Abzug zu treffen. Doch ein Himmelszeichen verzögert das Unternehmen, wie Thukydides schreibt:

„Alles stand bereit und sie wollten schon abfahren, da verfinsterte sich der Mond: Es war nämlich eben Vollmond. Die Athener, zumindest die Mehrzahl, forderten die Feldherren auf, anzuhalten, voll Sorge über das Ereignis; und Nikias – er gab vielleicht doch etwas zu viel auf Weissagung und derlei Dinge – wollte nicht einmal über einen früheren Abzug beraten, bevor sie die dreimal neun Tage, wie es die Seher auslegten, gewartet hätten. Deshalb zögerten die Athener – und blieben.“

Die Mondfinsternis, die man als böses Omen für das militärische Unterfangen deutete, versetzte die Truppen in grosse Angst, glaubten sie doch die Götter nicht auf ihrer Seite. Ob Nikias sich ebenfalls vor dem Himmelszeichen gefürchtet hat? Wir wissen es nicht mit Bestimmtheit. Doch ohne die Gefolgschaft seiner Leute konnte er definitiv nicht weiterziehen. – Und er wäre nicht der erste Feldherr in der Geschichte gewesen, dem seine verängstigten Soldaten einen Strich durch die Rechnung gemacht hätten.

Die Gegner Athens jedenfalls erfuhren von Nikias‘ misslicher Lage und nutzten die Gelegenheit. Es kam zu einer verheerenden Schlacht, bei der die athenische Flotte im Hafen von Syrakus zerstört wurde und tausende von Männern den Tod fanden. Der verantwortliche Nikias, der den Kriegszug doch eigentlich zu verhindern versucht hatte, liessen die Herren Athens zur Strafe hinrichten.

Die Niederlage von Nikias war die grosse Katastrophe, vor der sich jeder Athener gefürchtet hatte. Schliesslich war mit ihr auch der Peloponnesische Krieg nun endgültig für sie verloren. Ihn in die Länge gezogen haben danach nur noch einige Scharmützel und die Weigerung Athens, an irgendwelchen Friedensverhandlungen teilzunehmen. Zu gross war ihre Angst vor einem Gesichtsverlust, hätten sie ihre Niederlage doch öffentlich eingestehen müssen.

 

Thukydides über Nikias:

„In hohem Ansehen bei den Bürgern stehend, gab er sich nämlich kostspieligeren Leidenschaften hin, als seinem Vermögen entsprach: der Rossezucht und sonstigen Ausgaben. Das trug in nicht geringem Maβe zum Untergang Athens bei. Denn die Menge bekam Angst vor dem alles herkömmlichen Maβ übersteigenden Aufwand in seiner Lebensführung und vor der Spannkraft seines Geistes bei all seinen Taten. So wurden sie, als strebe er nach der Alleinherrschaft, seine Feinde, und obwohl er in seiner Amtsführung den Forderungen des Krieges am trefflichsten begegnete, waren sie wegen seiner persönlichen Lebensgewohnheiten missgestimmt, übertrugen den Befehl anderen und stürzten so in sehr kurzer Zeit den Staat ins Verderben.“

 

 

Themistokles und die Pest
Themistokles

Abb. 5) Büste des Themistokles.

Die Spartaner sollen sich vor den Athenern geängstigt haben. Die Angst der Kerkyraier und Korinther aber war die Initialzündung für den Peloponnesischen Krieg. Die Furcht der athenischen Soldaten vor einer Mondfinsternis wiederum besiegelte das Schicksal Athens. Doch bereits Themistokles, der sehr viele Jahre vor den Geschehnissen eine Entscheidung traf, die den Ausgang des Peloponnesischen Krieges letztlich mitentscheiden sollte, war von der Angst getrieben.

Themistokles (ca. 525/524-um 459 v. Chr.) war ein Stratege und Archon (Amtsträger mit Herrschergewalt) von Athen. Er war derjenige gewesen, der seit 493 v. Chr. unbeirrbar an der politischen und sozialen Umwandlung seiner Polis in eine Seemacht gearbeitet hatte. Berühmtheit erlangte Themistokles darüber hinaus auch als Hauptanführer des griechischen Abwehrkampfes gegen die Perser. In Athen und bei seinen Verbündeten wurde er als „Held von Salamis“ gefeiert.

Im Herbst 481 v. Chr. hatte die traditionelle Feindschaft zu den Persern die Griechen wieder einmal zusammengebracht. Gemeinsam schlossen sie dazumal den „Hellenischen Bund“. Er vereinte über zwei Dutzend Poleis und Inseln miteinander. Ein allgemeiner Landfrieden wurde ausgerufen und bestimmte Grundregeln aufgestellt. Beispielsweise durfte keiner der Parteien einen Separatfrieden mit den Persern schliessen. Die Oberleitung sämtlicher militärischer Aktionen zu Wasser und zu Lande beanspruchte Sparta für sich.

Im August 480 v. Chr. plünderten die Perser Athen. Die Griechen unter Themistokles konnten den Perserkönig Xerxes jedoch letztlich durch eine List bezwingen. Im September gewannen auch die Spartaner unter Führung des Eurybiades‘ den entscheidenden Seesieg der Hellenen bei Salamis. Doch vor allem der Kampfeswille der Athener hatte propagandistische Wirkung.

Als die Athener nach der Plünderung in ihre zerstörte Stadt zurückkehrten, begannen sie sogleich mit ihrem Wiederaufbau, und auch ein neuer Hafen wurde angelegt. Danach befahl Themistokles, die gesamte Anlage mit einer langen Mauer abzusichern. Mit dem Bau der „Langen Mauern“, die in unglaublich kurzer Zeit aus dem Boden gestampft wurden (460-457 v. Chr.), wandelte sich Athen zur grössten Festung Griechenlands. Sparta und andere Poleis betrachteten den Mauerbau natürlich als Provokation und protestierten.

Themistokles hatte selbstverständlich die heftigen Reaktionen vorausgesehen und im Voraus alles genauestens geplant. Von Anfang an war es sein Ziel gewesen, den Spartanern und ihren Verbündeten das Fürchten vor den Athenern zu lehren und sie zum Kriege zu reizen. Die Konkurrenz sollte sich schliesslich mehr vor ihnen als vor den Persern ängstigen. Seine Strategie hatte Erfolg. Während seine Arbeiter an der Mauer bauten, hielt Themistokles seine Gegner mit langwierigen Verhandlungen hin, um sie am Ende der Bauarbeiten vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Genau fünfundzwanzig Jahre später, als sich der Peloponnesische Krieg abzeichnete, evakuierte sein Nachfolger Perikles die Einwohner Attikas und verschanzte sich mit ihnen hinter den „Langen Mauern“ Athens (432 v. Chr.). Seine Kriegstaktik war einfach gestrickt: er wollte den kommenden Krieg aussitzen. Das Umland wurde zwar verwüstet, doch an die Stadtmauern wagten sich die Feinde nicht heran. Eine Feldschlacht hätte er sich auch gar nicht leisten können, standen ihm zu diesem Zeitpunkt nicht genug Hopliten (schwer gerüstete und bewaffnete Kämpfer) zur Verfügung. Zur See wiederum kam zwar die Flotte gegen die Peloponnesier zum Einsatz, doch ihre Kapitäne versuchten im Allgemeinen Zusammenstösse mit den Feinden zu vermeiden.

Die Angst der Athener vor der Dominanz und Konkurrenz Spartas fand in den „Langen Mauern“ ihre Manifestierung. Die Mauern, die aufgezogen worden waren, um Athen als militärisches Bollwerk der Welt zu präsentieren und die Spartaner in Angst und Rage zu versetzen, beschleunigten jedoch letztlich sein Untergang. 430 v. Chr. brach in Athen die Pest aus, und die Stadt verwandelte sich in eine Todesfalle. Die über Ägypten in den Piräus eingeschleppte Epidemie breitete sich innert kürzester Zeit unter den vielen Menschen auf kleinstem Raum aus.

Um 450 v. Chr. zählte ganz Attika ungefähr 300‘000 Bewohner und Athen rund 90‘000 Einwohner. Die Pest in Athen forderte ungefähr 100‘000 Menschenleben, darunter auch das des prominentesten Atheners Perikles. Der Angst vor der Pest schloss sich nach der Kriegsangst somit auch noch die Angst vor weiteren politischen Gewaltakten an, nachdem die Polis ohne Führung geworden war. Die „Zeit der grossen Demagogen“ nahm ihren Anfang, und damit derjenigen Politiker, die um die Gunst des Volkes buhlten und sich bereicherten – anstatt es zu führen.

 

Thukydides über die Pest in Athen:

„Das Furchtbarste an dem ganzen Übel aber war die Mutlosigkeit, sobald sich einer krank fühlte – denn sie überlieβen sich gleich der Verzweiflung, gaben sich vollends auf und leisteten keinen Widerstand –, und dass sich einer bei der Pflege des anderen ansteckte und alle wie das Vieh dahinstarben; und gerade das führte zu dem Massensterben. Denn entweder vermied man aus Angst, einander zu besuchen …, besuchten sie aber einander, holten sie sich den Tod, besonders die, die noch etwas auf Hilfsbereitschaft hielten. Aus Schamgefühl schonten sie sich nicht und kamen zu ihren Freunden, stumpften ja selbst die Verwandten gegen das Gewinsel der Sterbenden ab, überwältigt von der Gröβe des Leidens. … Völlig überwältigt vom Leid und ratlos, was aus ihnen werden solle, kehrten sie sich nicht mehr an göttliches und menschliches Gebot. … Auch sonst war die Pest für Athen der Anfang der Sittenlosigkeit. … Genuss für den Augenblick und alles, was dem diente, das galt als schön und nützlich. Weder Götterfurcht noch Menschensatzung hielt sie in Schranken; denn einerseits hielt man es für gleichgültig, ob man fromm sei oder nicht, da man alle ohne Unterschied dahinsterben sah, und andererseits glaubte niemand für seine Vergehen noch Gerichtsverhandlung und Strafe zu erleben.“

 

 

Athens Dilemma
Perikles

Abb. 6) Der athenische Staatsmann Perikles zählte schon zu Lebzeiten zu einer der bedeutendsten Führungspersönlichkeiten Griechenlands.

Als sich der Peloponnesische Krieg abzeichnete, stand Athen bereits vor einem grossen Dilemma. Schliesslich waren die Athener nur solange mächtig und konnten Kriege führen, wie sie den Seebund kontrollieren und ausbeuten konnten. – Ohne ihn wären sie in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Sparta geraten. Ihre politische Macht erhalten konnten sie letztlich nur durch die Verbreitung von Angst und Gewalt. Kein Wunder, gehörte Athen zu dieser Zeit zur am meisten gehassten Polis Griechenlands.

Nachdem der „Hellenische Bund“ geschlossen worden war und Sparta als erste Militärmacht Hellas das Kommando gefordert hatte, kam es zu einer immer weiteren Entfremdung der Bundesgenossen. Um 480 v. Chr. konnten die Perser unter Xerxes durch die Athener zurückgeschlagen werden. Die Athener, die übermässig darum besorgt waren, ihre Sonderstellung zu verlieren, scheint das Ereignis hochmütig gemacht zu haben. Denn ihr Streben nach Macht fand von nun an kaum mehr Grenzen und verführte sie zu einigen sehr folgenschweren Entscheidungen.

Das Inselheiligtum Delos war der Tagungsort des „Attischen Seebundes“. Deponiert war hier auch die gutgefüllte Kasse des Seebunds. Da seine Mitglieder es zumeist vorzogen, einen Geldbetrag anstatt Dienst auf See zu leisten, hatte sich die Bundeskasse kontinuierlich angefüllt. Verwaltet wurde sie durch die Athener, die für den Schiffsbau und Flottendienst verantwortlich waren. Diesem Umstand war er auch zu verdanken, dass die Athener überhaupt erst ihre Machtposition ausbauen konnten.

Die Athener führten einen ausschweifenden Lebensstil auf Kosten ihrer Verbündeten. Letztlich gaben sie aber mehr Geld aus, als sie einnahmen. Nachdem die Perser besiegt und aus der Ägäis verdrängt worden waren (449 v. Chr.), machte sich daher auch schon bald unter den Bundesgenossen des „Attischen Seebunds“ Unmut breit. Die Verbündeten sahen nicht ein, warum sie weiterhin ihre Mitgliedsbeiträge entrichten sollten. Die Athener jedoch bestanden auf weitere Tributzahlungen. Zu gross war ihre Angst, ihre Vormachtstellung zu verlieren und Sparta die Herrschaft über die Hellenen überlassen zu müssen. Wer ihren Forderungen nicht nachkam, gegen den wurde gewaltsam vorgegangen (Attischer Imperialismus).

Die Athener zogen durch ihr aggressives Machtstreben immer mehr den Hass der anderen Hellenen auf sich. Auch nutzten sie jede Gelegenheit, um die Spartaner politisch herauszufordern. Als sich die Korinth/Korfu-Krise abzeichnete, ging auch Perikles aufs Ganze und äusserte öffentlich, dass er einen Krieg zwischen Athen und Sparta als unvermeidlich betrachte. Auf einer Versammlung (432. v. Chr.) hielt der berühmte Staatsmann eine Rede, in der er den Krieg gegen Sparta und seine Verbündeten forderte. Thukydides legte ihm die folgenden Worte in den Mund:

„Auf der Stelle also entscheidet euch, entweder zu gehorchen, bevor ihr Schaden erleidet, oder ob wir Krieg führen sollen – wie es mir richtiger erscheint –, um künftig bei einem groβen ebenso wie bei einem kleinen Anlass unnachgiebig zu sein und um ohne Furcht zu besitzen, was wir erworben haben.“

Obwohl sich die Angst vor Besitzverlust naturgemäss vergrössert, wenn man sich noch mehr Besitz aneignet, liessen sich die Athener schnell von Perikles‘ Meinung überzeugen. Kein Wunder, besass er ihr Vertrauen. Der prominenteste Athener herrschte schliesslich dazumal bereits seit fast drei Jahrzehnten erfolgreich die Polis und damit länger als irgendein anderer Staatsmann. Da er jährlich als „Demagoge“ (Volksführer) zum Strategen wiedergewählt wurde, stellte Thukydides‘ Meinung nach Athen übrigens auch keine früh-demokratische Regierung dar, wie die Forschung seit Jahrzehnten und bis heute behauptet. Vielmehr hielt er sie für die „Monarchie des ersten Mannes“, also für eine Despotie.

Nachdem die athenische Flotte 413 v. Chr. im Hafen von Syrakus zerstört worden war, war der grosse Krieg entschieden. Nur die Athener weigerten sich noch, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Um das Fass voll zu machen, schalteten sich just in diesem Moment auch noch die Perser ein und boten Sparta finanzielle Unterstützung für ihren Flottenbau an (412 v. Chr.). Man kam ins Geschäft. Die Spartaner, die als Grossmacht der Hellenen die Einwohner Hellas eigentlich schützen sollten, verkauften Kleinasien an den persischen Grosskönig – und verdammten damit zum ersten Mal in der griechischen Geschichte ihre eigenen Leute zur Sklaverei.

Das zur See und zu Land belagerte Athen musste letztlich seine Niederlage eingestehen und aufgeben. Die Bedingungen der Kapitulation waren hart: Schleifung der Festungsmauern, Auslieferung der Flotte bis auf zwölf Schiffe, Verzicht auf alle Kolonien und auswärtigen Besitzungen, Auflösung des „Attischen Seebundes“ und Verpflichtung zur Heeresfolge im „Peloponnesischen Bund“, die Anerkennung der hellenischen Hegemonie Spartas und schliesslich auch noch die Einführung der Oligarchie („30 Tyrannen“), die von nun an über das Schicksal Athens entscheiden sollte. Nach dem Peloponnesischen Krieg gab es das einst mächtige und stolze Athen nicht mehr.

 

Thukydides hielt hohe Lobreden auf den ebenso gut in der „Rhetorik“ geschulten Perikles, …

„weil er nicht, um mit unsachlichen Mitteln die Macht zu erwerben, der Masse zu Gefallen redete, sondern genug Ansehen hatte, ihr wohl auch im Zorne zu widersprechen. Sooft er wenigstens bemerkte, daβ sie zur Unzeit sich in leichtfertiger Zuversicht überhoben, traf er sie mit seiner Rede so, daβ sie ängstlich wurden, und aus unbegründeter Furcht hob er sie wiederum auf und machte ihnen Mut. Es war dem Namen nach eine Demokratie, in Wirklichkeit eine Herrschaft des ersten Mannes.“

 

 

Spartas Furcht?
Leonidas I.

Abb. 7) König von Sparta: Statue des berühmten Leonidas I.

Die Angst vor politischer und wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit, Ehrlosigkeit und Ruhmesverzicht beherrschte alle Poleis, die selbst nach Macht, Reichtum und Ansehen strebten. Ihre Angehörigen hielten sich über viele Jahrzehnte in einem andauernden Zustand der Angst, sodass auch ihre Geschichte nur vom militärischen wie auch biologischen Prinzip „Flucht oder Angriff“ bestimmt werden konnte.

Die Stimmung unter den alten Griechen war bereits vor dem Peloponnesischen Krieg sehr angespannt. Die Athener Themistokles, Perikles und Nikias folgten einer langen Tradition, die von der Angstverbreitung geprägt war und bei der es darum ging, die Macht der Spartaner zu brechen und die Alleinherrschaft in Hellas zu erlangen. Um Kriege führen zu können, benötigt es jedoch auch das nötige Kleingeld. Eine profitable Expansionspolitik sollte es einbringen. Sie vergrösserte jedoch erneut die Sorgen, mussten doch auch andere Poleis die Unterjochung befürchten.

Die Angst der Spartaner vor der Athener Übermacht soll nach Thukydides die Ursache für den Peloponnesischen Krieg gewesen sein. Die Wahrheit ist jedoch, dass Sparta den Krieg nicht gewollt hat – jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Am Vorabend des ersten „Weltkriegs“ der Menschheitsgeschichte waren die Spartaner nämlich vor allem mit ihrer Furcht vor den sogenannten Heloten beschäftigt, den unter ihnen lebenden Sklaven, die im Aufstand waren. Sorgen gemacht haben sie sich auch wegen ihrer Unterbevölkerung, die den Zerfall ihrer Polis ankündigte, und ebenso wegen ihrer leeren Kassen, die sie seit geraumer Zeit nicht mehr zu füllen vermochten.

Natürlich aber gaben sich die Spartaner keiner Blösse hin, als Korinth sie in seinen Krieg mit Korfu hineinriss. Vielmehr nutzen sie die Chance und machten Werbung in eigener Sache. Sogleich propagierten sie sich als die „Befreier der Hellenen“, welche die Unterdrückten von der verhassten attischen Tyrannei befreien würden. Ihr Versprechen fand bei der griechischen Bevölkerung natürlich aufgrund des grossen Hasses auf die Athener Gehör. Spartas Aussichten auf eine Alleinherrschaft waren trotz ihrer misslichen Lage also gar nicht einmal so schlecht.

Interessanterweise war es genau dieser Hass, der die Athener letztlich als Grund für ihr machtgieriges Handeln nannten – und der Thukydides als Beleg dafür wertete, dass es die Furcht der Spartaner war, die den Ausbruch des Peloponnesischen Kriegs provoziert hatte. An einer grossen Versammlung in Sparta im Jahr 432 v. Chr. verteidigten sich die Athener nach Thukydides mit den folgenden, an die Spartaner gerichteten Worten:

„Verdienen wir es da, Lakedaimonier, um unserer damaligen Entschlossenheit und richtigen Einsicht willen, wegen unserer Herrschaft bei den Hellenen so über die Maβen verhasst zu sein? … Gerade deshalb sahen wir uns gezwungen, unsere Herrschaft auf ihren jetzigen Stand zu bringen, vor allem aus Furcht, dann auch wegen der Ehre und endlich wegen des Nutzens.“

Die Machtgier sämtlicher Herrscher und Volksversammlungen sowie das Konkurrenz- und Nutzdenken, die mit ihr einhergehen, schufen in ganz Griechenland eine Atmosphäre der Angst. Die Furcht der Spartaner vor Machverlust muss aber in der Tat gewaltig gewesen sein. Hätten sie ansonsten ihre eigenen Landsleute in die Sklaverei verkauft? Aus der Makroperspektive betrachtet, waren jedoch alle griechischen „Stadtstaaten“ vom Macht- und Expansionsdrang beseelt und dementsprechend von der Angst, gegen aussen als unbedeutend und schwach wahrgenommen zu werden.

 

Thukydides über das Wesen des Krieges:

„Über den Krieg, wie schwer er sei, was er alles mit sich bringe, wozu sollte man dies aufzählen und die Rede dehnen vor Leuten, die darum wissen? Denn niemand wird aus Unkenntnis gezwungen, ihn zu führen, niemand aber lässt sich aus Furcht abbringen, wenn er nur einen Vorteil erhofft. So ist es nun einmal, der eine achtet den Gewinn höher als die Bedrohung, der andere will lieber allen Gefahren standhalten, ehe er für den Augenblick auch nur etwas nachgibt.“

 

Der Heerführer und Historiker Thukydides war davon überzeugt, dass nicht die Götter, sondern die Menschen durch ihr Handeln Geschichte schreiben und die Angst sie zu diesem Handeln antreibt. Nach Meinung der Forschung wiederum ist Thukydides‘ Werk über den grossen Peloponnesischen Krieg von ganz immenser Bedeutung. Denn an seiner Darstellung kann man das typische menschliche Verhalten in Zeiten der Angst und Krisen besonders gut nachvollziehen.

Thukydides stellt die Poleis und ihre zahlreichen Bündnisse untereinander als eine Schöpfung der Furcht dar, wenn er schreibt: „alles pflegt sich ja aus Angst zusammenzuschlieβen“. Darüber hinaus war er jedoch auch davon überzeugt, dass die politische Machtausübung, die sich durch die Expansion offenbare, naturgemäss Angst und Hass auf der Gegnerseite wecke. In seinem Werk erwähnte er an zwei Stellen, dass die Furcht sowie die Ehre und der Nutzen die Hauptantriebfedern der Athener für ihr Machtstreben gewesen seien. Die Angst betrachtete er jedoch als die mit Abstand stärkste Triebkraft von allen dreien.

 

Zitate: Thukydides: Der Peloponnesische Krieg, Stuttgart 2009.

Literatur: Bagnall, Nigel: The Peloponnesian War: Athens, Sparta and the struggle for Greece, London 2004; Bleckmann, Bruno: Der Peloponnesische Krieg, München 2007; Bury, J.B. und Meiggs, Russell: A History of Greece, 4. Auflage, London 1975; Der Kleine Pauly, Lexikon der Antike in 5 Bändern, Dtv-Reihe, München 1975; Dreher, Martin: Athen und Sparta, 2. Auflage, München 2012; Gehrke, Hans-Joachim und Schneider, Helmuth (Hg.): Geschichte der Antike. Ein Studienbuch, 3. Auflage, Stuttgart 2010; Kagan, Donald: The Peloponnesian War: Athens and Sparta in savage conflict, 431-404 BC, London 2003; Kinder, Hermann und Hilgemann, Werner (Hg.): Dtv-Atlas, Weltgeschichte, Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution, Bd. 1, 34. Auflage, München 2000; Meier, Mischa: Ohne jegliche Ordnung, in: DAMALS (Die Pest. Geiβel der Menschheit), 7/2011, S. 16-21; Schmid, Christian und Schib, Karl: Weltgeschichte von der Urzeit bis zur Zeitwende des 13. Jahrhunderts, 2. Auflage, Erlenbach-Zürich 1980; Schmidt-Hofner, Sebastian: Das klassische Griechenland. Der Krieg und die Freiheit, München 2016; Schulz, Raimund: Athen und Sparta, Darmstadt 2003; Thukydides: Der Peloponnesische Krieg, Stuttgart 2009.

Bildernachweis: Titelbild) Pinterest.com; Abb. 1) Wikisource.org; Abb. 2) Dtv-Atlas. Weltgeschichte, Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution, Bd. 1, 34. Auflage, München 2000; Abb. 3) Muenzwoche.de; Abb. 4) Britishmuseum.org; Abb. 5-6) Bury, J.B. und Meiggs, Russell: A History of Greece, 4. Auflage, London 1975; Abb. 7) Historyplex.com.

 

By |2023-11-27T11:02:03+00:00Juni 1st, 2019|AnGSt|0 Comments
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